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Prof. van Dusen und die Affäre Capsicum





Professor van Dusen und die Affäre Capsicum | von Kai-Uwe Ekrutt

Erste unbearbeite und unkorrigierte Fassung V-2004 001.21052004

Erste Korrektur IX-2004 002.19092004


Ort der Handlung: Prag


Zeit: 16.April -19.April 1904


Personen:

---------------------------------------------------------------------------------------------------

Die Denkmaschine: Prof. Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen

Erzähler: Hutchinson Hatch


junger Student aus Prag: Egon


russischer Agent: Sergej Pasternak

japanischer Informant: Keisuke Tsukagoshi

Vermittler beim Geheimtreffen: Bohumil von Klausen


Kriminalbeamter: Palach

Polizist 1: Pepr

Polizist 2: Brambory


Freiheitsbewegung (Gruppe): Bozena Kinsky

Franz Martinic

Karel Kucera

Mikolas Kucera

Professor an der Universität Prag: Dr. Ronald Praetorius

junges Mädchen: Mala

Familie (deutsche Reisende): Hr. Küster und seine Frau Martha nebst

Anhang (4 Kinder)

Kutscher: -N.N.-

Frau Kinsky: Mutter von Bozena Kinsky


erwähnte Personen am Rande der Geschichte:

Dante Alighieri: Der aus Florenz stammende größte Dichter Italiens;

(1265-1321) – lebte zuletzt in Ravenna

Johannes Kepler: Deutscher Astronom und Mathematiklehrer

(27.12.1571 – 15.11.1630); Nachfolger Tycho Brahes

Antonin Dvorak: Tschechischer Komponist (08.09.1841 – 01.05.1904);

lehrte am Konservatorium in Prag

Hugo Riemann: Deutscher Musikwissenschaftler aus Groß-Mehlra bei Sondershausen (18.07.1849-10.07.1919)

Admiral Togo: Unter Admiral Togo erfolgte am 08/09.Febr.1904 der

Überraschungsangriff bei Port Arthur gegen die

russische Flotte, worauf am 10.Febr.´04 die offizielle

Kriegserklärung Japans erfolgte.

Admiral Makarow: Nach dem Überraschungsangriff Togos wurde Admiral

Makarow aus St. Petersburg abberufen, um den Ober-

befehl der Flotte zu übernehmen.

Hatch als Erzähler:


-Die Augen rot, der Bart ist schwarz und gleißend

Und weit der Bauch; er schlägt die Krallen ein,

die Geister kratzend, schindend und zerreißend.

Der Regen macht, daß sie wie Hunde schrein; ...- 1)


Ich träumte gerade davon, wie ich im schlammigen Morast und bis an die Knie eingesunken, den hoffnungslosen Versuch unternahm, meinem schaurigen Widersacher zu entfliehen, welcher mit seinen scharfen Krallen nach mir ausholte. Immer näher und näher rauschte die Riesenpranke des Ungetüms hinter meinem Kopf an mir vorbei, sodaß ich nur noch zu einem letzten Schrei des Entsetzens fähig war, als plötzlich eine mir wohlbekannte Stimme ans Ohr drang und schlanke Finger an meiner Schulter rüttelten.


[Hatch sitzt in angespannter Pose im Erste-Klasse-Abteil eines Zuges und durchlebt, mit Schweißperlen auf der Stirn, im Tiefschlaf einen wüsten Alptraum. Er fängt an, im Schlaf zu stammeln, bis hin zum finalen Aufschrei.]


Hatch:

Cerberus! Bleib´weg, du Höllenhund! Helft mir doch, helft mir doch, ihr Geister! - Aaah, GNADE!!!

[Van Dusen rüttelt Hatch wach, indem er zielstrebig am Revers seiner Jacke zerrt]


Van Dusen:

Werden sie wach, Hatch! Wir sind fast am Ziel angelangt. Es wird Zeit, wieder in die angenehmeren Gefilde der Realität zurückzukehren. Der sonst so erholsame Schlaf scheint ihnen wohl nicht bekommen zu sein? [Van Dusen mit einem kurzen Anflug eines schadenfreudigen Lächelns]


Hatch:

[plötzlich erwacht schaut Hatch dem Professor mit völlig orientierungslosem Ausdruck und mit weit aufgesperrten Augen an]

Ach, du dicker Hund! - Was ist geschehen? Wo bin ich gelandet?


Van Dusen:

Sind sie wieder unter den Lebenden, mein lieber Hatch? Bewaren sie nur ruhig Blut. Wir fahren gerade mit dem Zug in den Bahnhof von Prag ein und haben somit das Ziel unserer geplanten Reise erreicht.


Hatch:

Reise? [überlegt kurz] – Ja, langsam dämmerts mir. - Gütiger Himmel, war das ein finsterer Traum.


Van Dusen:

Welchen sie sich auch selber zuzuschreiben haben. Habe ich sie denn nicht schon des öfteren daran erinnert, daß zu solch später Stunde eine derart maßlose Völlerei an kulinarischem Ballast ihnen nicht allzu gut bekommen wird? Kein Wunder, daß ihre überaus lebhaften Visionen dann im Höllenkreis der nimmersatten Schlemmer enden. Zumindestens läßt ihr Unterbewußtes erkennen, daß dort noch ein Gewissen innewohnt.


Hatch:

Häh? Wieso wissen sie eigentlich von meinem Traum, Professor? Habe ich denn im Schlaf gesprochen?


Van Dusen:

Hatch! Haben sie denn immer noch nicht ganz den Zustand des Wachseins erlangt? Schauen sie doch auf ihren Schoß, dort wo ihre aufgeschlagene Nachtlektüre von Dantes Divina Commedia jene Sangeszeilen offeriert, die höchstwahrscheinlich als Letzte ihren Weg in ihr Gedächtnis fanden, und welche sich offensichtlich äußerst plastisch bei ihnen eingeprägt haben. Und bei der üppigen Mahlzeit, die sie sich erst vor zwei Stunden einverleibt haben, ist es kaum verwunderlich, daß ihnen im Traum böse Geister erschienen sind.


Hatch:

Was soll man denn auch anderes anstellen, wenn einem die eintönige Fahrt aufs Gemüt schlägt? Ich langweile mich eben, Professor. Und sie verstecken sich ohnehin die meiste Zeit hinter ihren wissenschaftlichen Ausarbeitungen.


Van Dusen:

Verstecken? Ein Professor van Dusen hat es nicht nötig, sich vor irgendjemanden oder vor irgendetwas zu verstecken! Während sie ihrer lästigen Angewohnheit des Müßigganges dadurch Ausdruck verleihen, indem sie in provokanter und enervierender Weise zu jeder vollen Stunde das Abteil verlassen, um dann, wie ein unruhiger Tiger im Käfig, permanent den Waggon alternierend abzuschreiten, kümmere ich mich wenigstens um das seriöse Anliegen meines geschätzten Herrn Kollegen Professor Praetorius, dessen theoretisch-wissenschaftliche Abhandlung ich mich verpflichtet sehe, zu überprüfen, gar zu überarbeiten. Nicht zuletzt soll unser kurzer Aufenthalt in dieser Stadt dem Zweck des naturwissenschaftlichen Austausches zwischen Fachkollegen dienen. - Aber da sie ja förmlich nach Aktivität und Beschäftigung schreien, würde ich vorschlagen, daß sie baldigst unser Gepäck schultern und sich für den Ausstieg bereithalten. Eine für sie durchaus sinnvolle als auch dem praktischen Nutzen dienende Tätigkeit, die ihrer Langeweile mit therapierender Wirkung ein Ende setzen sollte, mein lieber Hatch.


Hatch:

Schon gut, schon gut. Ich habe verstanden. Wie ihre Majestät befiehlt.


Hatch als Erzähler:

Genauso kennen wir den Professor, oder korrekter gesagt, Professor Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen, den in aller Welt bekannten genialen Wissenschaftler und Amateur-Kriminologen, welcher auch unter dem Namen „Die Denkmaschine“ weltweiten Ruhm erlangt hat. Aber auch mich, Hutchinson Hatch, werden sie wahrscheinlich sofort wiedererkannt haben. Denn wer, außer mir, läßt sich immer wieder wie ein eingeschüchterter Schuljunge durch den Professor herunterputzen? Nun, ich habe mich so langsam an die steten Zurechtweisungen des Professors gewöhnt, denn mittlerweile sind schon sechs Jahre vergangen, seitdem ich dem großen Wissenschaftler zum ersten Male begegnet bin. Und seitdem hat es sich so ergeben, daß ich als Begleiter der Denkmaschine viele abenteuerliche und rätselhafte Kriminalfälle miterlebt habe, die ich als Journalist des Daily New Yorker zu Papier und somit in den weiten Kreis der Leserschaft gebracht habe.

Es ist erst wenige Tage her, da der Professor seinen letzten spektakulären Fall gelöst hat, als er sich in dem sehr beschaulichen und erholsamen Bad Emsingen der Entführung des Erbprinzen Amadeus Heinrich von Schleuß-Reitz-Wittgenstein annahm und natürlich umfassend zur Aufklärung des Falles beitrug. Eigentlich hatten wir die Örtlichkeit des Kurbades dazu nutzen wollen, um von den den Strapazen unserer Weltreise, die vor gut elf Monaten ihren Anfang nahm, eine Ruhephase einzulegen. Vielmehr sollte der Professor wieder aus dem Brunnen der Ruhe schöpfen, da er in den letzten Monaten pausenlos von einem Fall zum nächsten hechelte. Nicht, daß sich Van Dusen jemals die Blöße gab und sich etwas anmerken ließ, aber man konnte doch gewisse Spuren der Anspannung bei ihm feststellen. Aber für den großen Wissenschaftler gibt es letztenendes kaum so etwas wie Urlaub oder Erholung. Wahrscheinlich nicht einmal an den entlegendsten Orten dieser Erde, da er stets damit begnügt ist, entweder in rastloser geistiger Regsamkeit streng wissenschaftliche Berechnungen bzw. Schriftwerke, wie die „Atomare Strukturtheorie der Elemente“, zu verfassen, oder in amateur-kriminologischer Hinsicht tätig zu werden. So kam es denn, daß Van Dusen nach ein paar Tagen der Geruhsamkeit wieder die Leidenschaft des Reisens packte und einen Abstecher nach Prag unternehmen wollte. Jener alten Hauptstadt Böhmens, die als drittgrößte Stadt zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehört. Hier wollte er einen alten Kollegen, mit Namen Ronald Praetorius, wiedertreffen, um mit ihm ein Fachgespräch darüber zu führen, und an dieser Stelle zitiere ich am besten wortgetreu Van Dusen, „wie man sich mittels photographischer Periodogramme die Analyse langperiodischer Zeiträume hinsichtlich der Sonnenfleckenrelativzahlen zunutze machen könne“. Der Professor hat zwar mit viel Geduld und mit Benutzung einer sehr bildhaften Sprache den Versuch unternommen, mir zu erklären, was sich hinter diesem Sonnenfleckenmysterium versteckt, aber ich habe kein Wort davon verstanden. Warum auch? Mir kam der plötzliche Wink, unsere Reise in Richtung Prag fortzusetzen, ganz recht, da ich den letzten Fall schon schriftlich festgehalten hatte, und ich so langsam in den letzten Tagen nichts mehr mit mir anzufangen wußte. Ich beeilte mich daher, die Fahrkarten für die Zugreise nach Prag zu ordern. Und somit fuhren wir dann am 16.April 1904 zu später Stunde in den Kaiser-Franz-Josephs-Bahnhof ein, wo ein, ähnlich einem Packesel, beladener Hutchinson Hatch über den Bahnsteig torkelte. Ich schleppte mich samt den Gepäckstücken mühsam nach draußen, währenddessen der Professor zielstrebig vorne wegging, sodaß wir in der Nähe der Park-Gasse zum Stehen kamen, unweit vom Neuen Deutschen Theater entfernt, um die nächstmögliche Droschke in beschlagzunehmen.



Hatch: [mit angestrengtem Gesichtsausdruck]

Puuh! Jetzt reicht es aber mit der Schlepperei.


Van Dusen:

Sind sie etwa schon ermattet, Hatch? In Anbetracht dieser defizitären Leistung scheint es mit ihrer physischen Konstitution nicht gerade gut bestellt zu sein.


Hatch:

Sie haben gut reden. Zwei volle Koffer mit Kleidung, dazu ihr nicht gerade handliches Miniaturlabor und zu guter Letzt auch noch ihren Regenschirm. Mit dieser akrobatischen Nummer könnte ich glatt in einem Zirkus auftreten.


Van Dusen:

Ergiessen sie sich nicht zu sehr in überflüssige Erklärungen, Hatch. Rufen sie uns lieber eine Droschke. Denn im Terminus technicus des Journalisten gesprochen, möchte ich hier nicht unbedingt Wurzeln schlagen. Also, werden sie tätig.


Hatch: [mit saurer Miene zu sich selber murmelnd]

Da ist ja mein Höllentraum noch das reinste Vergnügen gewesen.


Van Dusen:

Haben sie etwas zu sagen, Hatch?



Hatch:

Nein, nichts! Außer, daß dort eine Kutsche genau auf uns zukommt. [Hatch gibt einen Pfiff von sich, um dem Fahrer zu signaliseren] Hierher! Hallo, hierher! - Sehen sie, Professor, die reagieren sofort aufs Kommando. So lasse ich es mir gefallen. [Kutsche kommt mir Riesentempo Hatch entgegen]


Fahrer auf dem Kutschbock: [brüllt zu Hatch]

Pozor! Pozor!


Van Dusen: [warnt Hatch]

Wenn ich ihnen einen guten Rat geben kann, verschwinden sie sofort von der Straße, Hatch! Schnellstens!!


Hatch:

Wieso denn? Was geht hier vor? [Hatch springt gerade noch rechtzeitig auf den Bürgersteig, als die Kutsche an ihm vorbeidonnert]


Hatch:

So eine Frechheit! Sitten sind das hier, einfach unmöglich dieses Betragen! Der hätte mich doch glatt überfahren, wenn ich nicht zur Seite gesprungen wäre.


Van Dusen:

Hatch! Wenn sie der heimischen Sprache dieses Landes mächtig gewesen wären, hätten sie den tschechischen Ausruf des Fahrers als unüberhörbare Warnung auffassen müssen, als er ihnen „Vorsicht“ entgegenrief.


Hatch:

Aber trotzdem, egal ob ich ihn verstanden habe oder nicht, es liegt kein Grund vor, so zu rasen.


Van Dusen:

Sagen sie das nicht. Der Grund, welcher von ihnen so voreilig ausgeschlosssen wird, nähert sich uns ebenfalls mit rasanten Schritten und mit äußerst erregter Lautstärke.


Kutschenbesitzer: [rennt der Kutsche hinterher und brüllt auf Tschechisch hinterher]

Pomoc! Kde je nejblizsi policie?! - Zlodej, zlodej! Lupicska tlupa!


Hatch: [rennt fast Hatch um]

Hey! Aufpassen! Sind denn hier alle verrückt? Was soll die ganze Aufruhr?


Van Dusen:

Im Hauptsächlichen geht es darum, daß jener sehr aufgebrachte und in der Uniform eines Kutschers bekleidete Mann sein Gefährt zurückerhalten möchte, welches ihm gerade vor einer Minute durch fremde Person, oder besser gesagt, Personen abhanden gekommen zu sein scheint. Im Wagen konnte ich für den Augenblick einer Sekunde noch das Gesicht einer sehr jungen Dame erkennen, etwa 20 Jahre alt und mit dunkelgelocktem Haar. Der oben auf dem Führerstand des Fahrzeugs stehende Mann verbarg dagegen sein Gesicht hinter seinem hochgestellten Mantelkragen und hatte zudem noch eine tief ins Gesicht gezogene Mütze als Sichtschutz. Trotzdem konnte ich eine sehr markante Narbe über seinem linken Auge erkennen. Aber auch ihn schätze ich vom Alter her gesehen um die Mitte zwanzig ein, soweit Stimme, Statur und die körperliche Motorik eine präzise Aussage zulassen.



Hatch:

Und was machen wir nun?



Van Dusen:

Natürlich das nächste Gefährt rufen. Oder wollen sie etwa hier am Bahnhof noch die ganze Nacht verbringen?


Hatch: [überrascht über Van Dusens Gelassenheit]

Ich dachte eben nur, daß es sich vielleicht wieder um einen neuen Fall handelt, den nur die Denkmaschine zu einer Auflösung verhelfen kann.


Van Dusen:

Ich, Professor Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen, kann mich doch nicht um jede kriminologische Banalität kümmern, welche eher dem Zuständigkeitsbereich der örtlichen Polizei obliegt. Der Diebstahl einer doppelspannigen Kutsche entspricht nicht unbedingt den intellektuellen Ansprüchen einer so eminenten Person, die sich sonst mit weit reizvolleren Angelegenheiten der Kriminologie zu beschäftigen sieht. Ich bin überzeugt, daß die öffentliche Sicherheit, welche durch die kaiserlich königliche Polizeidirektion vertreten wird, über durchaus fähige und tüchtige Beamten verfügt, die in der Lage sein sollten, den Personenwagen samt Pferdegespann wieder aufzuspüren.


Hatch: [etwas traurig]

Schade. Ich hatte schon auf ein neues Abenteuer gehofft.


Hatch als Erzähler:

Obwohl mir die Intuition ein Gefühl verlieh, daß sich hinter dieser Sache mehr verbergen würde, als nur ein schlichter Raub, steckte ich erstmal zurück. Denn der Professor kann es partout nicht ausstehen, wenn man ihm widerspricht. Außerdem wollte ich nicht noch mehr verbale Lanzenstiche Van Dusens auf mich ziehen. Mein Tagesbedarf war fürs Erste gedeckt.

Damit rief ich brav eine Droschke herbei und teilte dem Fahrer die Adresse vom Savoy-Hotel mit, wo wir uns einquattieren wollten. Wir bogen somit auf den naheliegenden Wenzelsplatz ein und bewegten uns in Richtung der Moldau. Hier führte der Weg weiter über die Karlsbrücke und dann am Burgkomplex des Hradschin vorbei, wo wir bald das Hotel erreichten und schließlich eine Suite bezogen. Den folgenden Tag, einen Sonntag, wollten wir dazu nutzen, etwas von der Stadt Prag zu sehen und auf den kultur-historischen Pfaden zu wandeln. Aber wenn sie glauben, daß es sich hier um einen erholsamen Ausflug handelte, bei dem man in Ruhe und mit Muße auf den Plätzen Prags flanieren konnte, dann wissen sie noch nicht, was eine Stadtbesichtung in Begleitung Van Dusens bedeutet. Es begann schon damit, daß ich kurz nach sechs Uhr geweckt wurde, um mich für das Tagesprogramm des Professors vorzubereiten. Das Frühstück mußte selbstverständlich ausfallen, und somit ging es gleich zu der Burganlage des Hradschin, entlang sämtlicher Burghöfe und natürlich am St.Veit Dom vorbei. Und da der Professor früher schon einmal an der Univertät von Prag Vorlesungen gehalten hatte, kannte er die Stadt, und die damit verbundene Stadtgeschichte, wie seine Westentasche. Es machte ihm sichtlich Spaß, den Fremdenführer für mich zu spielen, wobei mir nach einer Stunde förmlich der Kopf dröhnte, Angesichts der Vielfalt an Informationen, die mir entgegengeschleudert wurden. Zudem ging es äußerst flott im Marschtempo von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Nach etwa drei Stunden waren wir soweit, daß der Altstädter Ring mit dem Rathaus vor uns lag. Hier standen wir nun vor der imposanten astronomischen Uhr, deren wunderschöne Uhrenscheiben das Rathaus zieren. Auch hier hatte der Professor den unstillbaren Drang, seinen Senf in Form seiner ausführlich fundierten Geschichtskenntnisse hinzugeben zu müssen.


Van Dusen:

... und an jener Wirkungsstätte beschäftigte sich schon der große Astronom Johannes Kepler mit der Aufgabe der rätselhaften Mars-Umlaufbahn. Wenn sie nun nach dort drüben herüberschauen, Hatch, so sehen sie die Teynkirche, in welcher der 1601 verstorbene Tycho de Brahe begraben liegt. Ebenfalls ein einflußreicher Astronom, dessen Nachfolge am Hofe Rudolfs II eben jener Kepler antrat. In den Folgejahren arbeitete Kepler dann seine beiden berühmten Gesetze aus bis schließlich 1618 das dritte Gesetz durch sein Werk „Harmonice mundi“ beschrieben wurde. Die Keplerschen Gesetze sind ihnen doch ein Begriff, Hatch, oder etwa nicht?


Hatch: [bläßt in seiner Ratlosigkeit seine Backen auf]

Pfff. - Mmh, irgendetwas habe ich mal gehört. Sowas wie , daß die Sterne auf ovalen Bahnen um die Sonne laufen.


Van Dusen: [empört über die Antwort von Hatch]

Eine äußerst enttäuschende Vorstellung, was sie mir hier offerieren, Hatch. Anscheinend bereitet es ihnen Genuß, mit einem Höchstmaß an Ignoranz zu prahlen. Wie kann man nur so ein infantiles und stümperhaftes Weltbild verlautbaren lassen. Sollte ihnen doch klar sein, daß in unserem heliozentrischen Weltsystem es die Planeten sind, welche in elliptischen Bahnen ihren Weg um das Zentralgestirn nehmen. Darauf deutet allein schon das griechische Wort ´planetos´ hin, welches von der Bedeutung einen ´Wanderer´ bzw. ´Umherziehenden Körper´ beschreibt.


Hatch:

Na gut. Daß ich bei den Planeten etwas daneben gelegen habe, geschenkt, Professor. Aber ob nun ovale Bahnen oder elliptische, das ist doch einerlei.


Van Dusen:

Wollen sie mich bis zum Äußersten reizen, Hatch! Selbstverständlich ist es nicht, wie sie es auszudrücken belieben, einerlei, was den Unterschied des Bahnverlaufs angeht. Eine Ellipse ist eine mittels spezieller Parameter exakt beschreibbare und eindeutige geometrische Ortskurve. Das, was man als Oval auffassen kann, ist lediglich ihr leerer Schädel, hinter dem sich mittlerweile eine Vielzahl an chaotischen und abstrusen Ungereimtheiten angesammelt hat.


Hatch: [beleidigt]

Ach, Professor! Können sie denn nicht einmal für einen Tag von ihren Sticheleien lassen? Nicht, daß mir so langsam die Füße vom Umherwandern wehtun und mein Magen zu knurren beginnt, so habe ich außerdem in den vergangenen Stunden ihren intensiven Redeschwall über mich ergehen lassen müssen. Daß sie mir jetzt noch meine Unwissenheit vorführen wollen, ist ein bißchen zu viel des Guten. Ich spiel´ da nicht länger mit. Ich mache jetzt Urlaub, und zwar von ihrer Gesellschaft, Professor! Wünsche ihnen noch einen schönen Tag. [sichtlich genervt dreht sich Hatch von Van Dusen weg, um in die nächste Gasse zu marschieren]


Van Dusen: [ruft Hatch hinterher]

Wo wollen sie denn hin, mein lieber Hatch? Sie kennen sich doch hier gar nicht aus, und in Parenthese hinzugefügt, s-o-l-l-t-e-n s-i-e s-o-f-o-r-t z-u-r S-e-i-t-e s-p-r-i-n-g-e-n !!!


Hatch als Erzähler:

Ich war so richtig wütend auf den Professor und wollte in meiner Gereiztheit einfach nur das Weite suchen, sodaß ich gar nicht mitbekommen hatte, daß ein brauner Hengst mit einem schwarzen Reiter aus der Gasse heraus auf mich zupreschte. In der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, prägte sich das Bild des maskierten Reiters, der ähnlich wie beim Erlkönig 2) einen weinenden Jungen unter seinem rechten Arm hielt, regelrecht in mein Gedächtnis ein. Hätte mich der Professor nicht gewarnt, wäre die Begegnung sicher böse für mich ausgegangen. Durch den überstürzten Versuch, mich aus der Gefahrenzone zu bringen, landete ich am Rinnstein und schlug mir dort ziemlich schmerzhaft die Knie an. Die nächsten Sekunden war ich völlig perplex und mußte mich erstmal langsam von dem riesen Schrecken erholen. Van Dusen eilte sofort zu mir herüber, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen.


Van Dusen:

Sind sie verletzt, Hatch? Lassen sie mich mal sehen. [begutachtet die Fußknöchel von Hatch]

Mmh, außer jenem Umstand, daß die Hose im Bereich ihrer Knie etwas in Mitleidenschaft gezogen worden ist, sind sie von weiteren Blessuren oder gar Frakturen verschont geblieben.


Hatch: [mit verzerrtem Gesichtsausdruck]

Aber die Schmerzen, davon sprechen sie überhaupt nicht.


Van Dusen:

Auch diese werden kurzerhand abgeklungen sein.- Kommen sie Hatch, nehmen sie meine Hand. Ich helfe ihnen wieder auf ihre etwas wackligen Beine. [Hatch zieht sich an der Hand vom Professor wieder hoch]

Beinahe könnte man auf den Gedanken kommen, daß sie in dieser Stadt nicht gerade beliebt sind. Zumindestens nicht bei der reitenden Zunft.


Hatch:

Hören sie mir bloß auf. So langsam glaube ich auch nicht mehr an bloße Zufälle.


Van Dusen:

Für gewöhnlich wird auch bei diesem Vorfall eine schlichte Erklärung nicht lange auf sich warten lassen. Wenn sie nämlich bis ans Ende der Gasse schauen, so entdecken sie dort einen sehr aufgebrachten Herrn, der sich mit geschwinden Schritten auf uns zu bewegt. Aller Wahrscheinlichkeit ist er der Vater des Jungen, welcher in der Begleitschaft des schwarzen Reiters eine äußerst unglückliche und ängstliche Figur abgab.


Hr. Küster: [rennt auf die beiden zu, wobei er in deutscher Sprache ruft]

Entführung! Haltet den Reiter! Er hat meinen Sohn in der Gewalt! Hilfe! Hilfe!

[trifft bei Van Dusen und Hatch ein, wo er laut keuchend zum Stoppen kommt]

Hilft mir doch, ich kann nicht mehr!


Van Dusen:

Mein guter Herr, es hat keinen Sinn, den Entführer noch einholen zu wollen. Ohne Pferd haben sie nicht die geringste Chance auf Erfolg. So leid es mir tut. Sie sollten möglichst schnell die Polizei informieren, damit diese nach ihrem Kind Ausschau halten kann.


Hr. Küster: [mit keuchender Stimme]

Die Polizei, sie ist schon informiert. [atmet tief durch] Meine Frau, die in der Nähe vom Wenzelsplatz mit meinen anderen Kinder zurückgeblieben ist, hat sofort Kontakt zu zwei Wachposten aufgenommen. In dieser Zeit habe ich sofort die Verfolgung aufgenommen und bin dem Mistkerl hinterhergerannt. [hält eine Weile inne] - Oh, mein Gott, oh, mein Gott, was soll ich bloß machen? Mein Kleinster wurde verschleppt. Ich kann es gar nicht fassen. Was mach´ ich nur?


Van Dusen: [im beruhigenden Ton]

Lassen sie uns erstmal in Richtung Wenzelsplatz zu ihrer Frau Gemahlin marschieren. Bis dahin können sie mir den Hergang der eben verübten Entführung präzise und detailiert schildern. Vielleicht kann ich ihnen ja weiterhelfen, Herr ...?


Hr. Küster:

Äh, Küster ist mein Name. [blickt Van Dusen fragend an] - Und sie können mir weiterhelfen?


Hatch:

Wer sonst, wenn nicht der größte Amateur-Kriminologe, den die Welt je gesehen hat. Wenn ich ihnen hiermit den berühmten Professor van Dusen vorstellen darf? - Ich heiße übrigens Mr. Hatch.


Hr. Küster: [die drei Männer gehen entlang der Gasse in Richtung des Wenzelsplatz]

Sie kennen sich in solchen Sachen aus? Ja, dann schönen Dank für ihre Hilfsbereitschaft. - Entschuldigen sie. Ich muß mich erstmal wieder sammeln, bevor ich ihnen das alles mitteile. [macht eine kurze Atempause] - Also, meine Frau, ich und die Kinder sind vor etwa einer viertel Stunde am Wenzelsplatz eingetroffen. Am Graben, so heißt die Straße in der Nähe vom Platz, haben wir bis vor wenigen Minuten auf einen Bekannten gewartet, als plötzlich ein schwarzer Reiter galoppierend die Straße entlangkam, meinen kleinen Wolfgang am Kragen schnappte und zu sich hochriß. Wir haben anfangs überhaupt nicht verstanden, was der Mann mit unserem Kind vorhatte, bis er dann wieder zur Flucht ansetzte und dem Pferd die Sporen gab. Ich wies meine Frau sofort an, die Polizisten auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu informieren und nahm sogleich die Verfolgung auf, bis ich gerade eben auf sie beide gestoßen bin.


Van Dusen:

Die Polizei war ganz in der Nähe, als es zur Entführung kam?


Hr. Küster:

Ja, nur etwa dreißig Meter von uns entfernt standen zwei Polizeibeamte, die vor einem Gebäude als Wachen standen. Aber heutzutage lassen sich solche Ganoven ja nicht mal vor den Ordnungshütern abschrecken. - Eine schäbige Welt ist das geworden, oh, oh, oh. - Oh, was mache ich nur? Mein armes kleines Wölfchen.


Van Dusen:

Sehr sonderbar. Wenn nicht sogar ein beabsichtigter Akt einer Handlung gepaart mit einer gehörigen Quantität an Dreistheit, welche hier scheinbar in Szene gesetzt wurde.


Hatch:

Meinen sie wirklich, Professor? [Van Dusen schweigt sich aus]


Hatch als Erzähler:

Kurz nachdem wir mit zügigen Schritten den Weg zum Wenzelsplatz einschlugen, kam uns der Polizist entgegen, welcher sich als ein Herr Brambory vorstellte und der sich vorort um die übrigen Familienangehörigen des Herrn Küster gekümmert hatte. Da er bemerkte, daß es wohl aussichtslos sein würde, dem Flüchtigen nachzustellen, wand er sich direkt an den Vater des verschollenen Kindes. Er machte kurz Rapport, daß er vorhabe, sich unverzüglich bei seiner Dienststelle einzufinden, um dort den Entführungsfall zu melden. Personalien und Beschreibung des Knaben waren ihm durch die Frau Gemahlin zugetragen worden. Und so entschwand er auch sofort wieder mit Diensteifer, während wir an dem Ort des Geschehens eintrafen. Hier erblickten wir eine mit Tränen überströmte und dazu auf dem Boden des Bürgersteiges kauernde Frau, wobei sich die restlichen drei Kinder tröstend und eng umschlossen an der leidenden Mutter anschmiegten. Weitere neugierige Personen der Prager Bevölkerung hatten sich ebenfalls schon am Tatort gesammelt, postierten sich aber im respektvollen Abstand von den verstörten Kindern und der wimmernden Frau Mutter. Van Dusen und Hr. Küster durchbrachen den Kreis der Schaulustigen und nahmen sich der Familienmitglieder an. Ich hielt mich, wie die meisten anderen Umherstehenden auch, etwas vom Geschehen entfernt, da ich momentan nur wenig zur Verbesserung der Situation beitragen konnte. Doch dieses stellte sich insofern als ein glücklicher Umstand heraus, da ich kurzzeitig meinen Blick abschweifen ließ und plötzlich eine junge Dame an der Straßenecke zum Vorschein kommen sah, die an einer Hand einen traurigen kleinen Jungen begleitete. Einen Knaben, bekleidet mit einem jener blauen Matrosenanzüge, die gerade zur Zeit in den wilhelminisch geprägten preußischen Familien des deutschen Reiches groß in Mode kamen. Und da Hutchinson Hatch zuweilen auch in der Lage ist, zwei und zwei zu addieren, konnte dies nur der entführte Junge sein, der offensichtlich zu seinen ebenfalls maritim ausstaffierten Geschwistern gehören mußte. Da der Professor vorläufig durch die Geschehnisse, und hauptsächlich durch die in Panik geratene Frau Küster, weitestgehend in seiner Person beansprucht wurde, entschied ich mich, jener entzückend und außergewöhnlich attraktiven Frauengestalt meine Dienste anzubieten. Dabei trafen sich unsere Blicke schon von Weitem, Blicke in zwei verführerisch dunkelbraune Augen, die mich aufs Angenehmste fesselten.


Hatch: [tritt selbstbewußt auf die junge Dame zu]

Kann ich ihnen eventuell behilflich sein, verehrtes Fräulein? Ich glaube, der kleine Ausreißer ist ihnen erst eben über den Weg gelaufen? Wenn sie gestatten, bringe ich ihn zu seiner Frau Mama zurück.


Junge Dame:

Mein Herr, sie kennen den kleinen Matrosen? Da bin ich aber beruhigt, daß ich so schnell einen Bekannten des Kleinen gefunden habe. Sehen sie selber, wie verängstigt und eingeschüchtert er ausschaut.


Hatch:

Da hat der Bengel ja Riesenglück gehabt, daß er auf eine so attraktive junge Dame gestoßen ist, die sich ihrer großen Verantwortung bewußt sogleich auf die Suche nach den Eltern gemacht hat.


Junge Dame: [guckt etwas verschämt]

Sie schmeicheln mir, mein Herr. - Wenn sie vielleicht doch so lieb wären und den kleinen Mann für mich übernehmen würden? Mir ist die ganze Sache ein wenig unangenehm. Die vielen Menschen um mich herum, wenn sie verstehen, mein Herr.


Hatch:

Selbstverständlich, wenn ihnen das unangenehm ist, dann ist Hutchinson Hatch natürlich bereit, die weitere Aufsichtspflicht an sich zu nehmen. Keine Frage, bei einer so charmanten Prinzessin des Morgens.


Junge Dame: [kichert verlegen]

Danke für ihr Kompliment. Aber sie sollten jetzt den Jungen unverzüglich bei der Mutter abgeben, sonst vergeht sie noch vor Sorgen, Herr Hatch.


Hatch:

Das wird sofort erledigt, junge Dame. Bitte warten sie doch noch einen Moment, bis sich die Situation geklärt hat. Bin gleich wieder zurück, Verehrteste. - Los! Komm, du kleiner Schlingel. Hast ja mit deinem Ausritt für eine Menge Aufsehen gesorgt. Aber gleich bist du wieder bei deiner Mutter. [Hatch beeilt sich, den Jungen zur Familie zu bringen]


Hatch:

Professor, Professor! Entwarnung! Der entführte Junge ist wieder aufgetaucht. [Hatch zieht den Kleinen hinter sich her]


Frau Küster: [erspäht ihren wiedergefundenen Schützling und läuft kurzerhand auf Hatch zu]

Mein Wölfchen ist wieder da! Mein armes kleines Wölfchen. Gütiger Himmel, ich habe ihn wieder. Komm´ in meine Arme, schnell! [als der Junge seine Mutter wahrnimmt, läuft dieser ebenfalls sofort los, um bei ihr Schutz zu suchen]


Hatch:

Na, dann ist ja alles wieder in bester Ordnung.


Frau Küster:

Mein großer Held, lassen sie sich umarmen. Sie haben mir das Leben gerettet. [Frau Küster stürmt nun auf Hatch los] Ohne mein Wölfchen wär ich des Lebens nicht mehr froh geworden. [stürzt sich vor Freude auf den verdattert schauenden Hatch]


Hatch:

Äh, eigentlich ist es nicht .... [Die Mutter wirft sich Hatch um den Hals und gibt ihm einen Kuss]


Hatch: [verlegen]

Bitte sie, der gebührende Dank steht mir doch gar nicht zu, sondern dem jungen Fräulein, die den Jungen aufgelesen hat.


Herr Küster: [will sich auch bei Hatch bedanken]

Komm, Martha. Laß den Herrn erstmal wieder seine Bewegungsfreiheit. Du überfällst ja geradezu den armen Mr. Hatch. - Vielen Dank, daß sie meinen Sohn wieder gesund zurückgebracht haben. Mr. Hatch, sie haben bei mir noch etwas gut.


Van Dusen: [ergreift nun wieder das Wort]

Welches junge Fräulein meinen sie denn, Hatch? Könnten sie mir dieses Fräulein beschreiben?


Hatch:

Was heißt beschreiben. Zeigen kann ich sie ihnen, Professor. Gleich dort an der Straßenecke, sehen sie? [Hatch will Van Dusen mit dem Zeigefinger die Blickrichtung weisen] Moment mal, wo ist sie denn geblieben? Eben hat sie da noch gestanden und sollte auf mich warten. - So ein Reinfall! [Hatch guckt ziemlich enttäuscht]


Van Dusen:

Da ihre weibliche Bekanntschaft es wohl vorgezogen hat, sich der weiteren Gesellschaft ihrer Person fern zu halten, bleibt ihnen jetzt nichts anderes übrig, als sie mir zu beschreiben, Hatch.


Hatch:

Gleich, gleich, Professor. Lassen sie mich erst nochmal nachschauen. Vielleicht wartet sie ja hinter der Ecke auf mich. [läuft geschwind zur Straßenecke]


Van Dusen: [ruft Hatch noch etwas hinterher]

Wenn sie sich davon etwas versprechen, Hatch. Ich kann ihnen jetzt schon mitteilen, daß sie sich den Weg sparen können. Aber wenn ihre Füße nun urplötzlich keine Schmerzen mehr verspüren, dann ist das sogar etwas sehr Erfreuliches, um an unsere für den heutigen Tag geplante Exkursion anzuknüpfen und diese mit frischem Elan fortzusetzen.


Hatch:

Hallo, junges Fräulein. Wo stecken sie denn? - Schade, auch hier weit und breit nichts mehr von ihr zu sehen. [läuft schmollend zu Van Dusen zurück]

Sie hatten leider mal wieder recht, Professor.



Van Dusen:

Leider mal wieder recht? Was wollen sie damit sagen? Wenn sie sich an irgendwelchen falschen Hoffnungen klammern bzw. in ihrer Selbstüberschätzung die Realität nicht mehr wahrnehmen, dann liegt das weniger an meiner Person. Apropos Realität nicht mehr wahrnehmen, kommen sie sofort von der Straße herunter, Hatch, sonst rammt sie d-i-e-s-e K-u-t-s-c-h-e !! [hinter Hatch poltert eine Kutsche mit hoher Geschwindigkeit; auf dem Kutschbock eine maskierte Person, die eine Peitsche knallen läßt]


Hatch:

Aah! Verflixt noch eins! [stürzt sich seitlich auf den Gehweg, um dem Gefährt auszuweichen]


Van Dusen: [Hatch starrt ungläubig vor sich hin]

Was ist ihnen, Hatch? Sie sagen ja gar nichts mehr. Ist ihnen etwa der Schock so tief ins Mark gefahren, daß ihnen jegliche Kraft für ihre sonst so laxe Ausdruckweise abhanden gekommen ist? Sie sollten sich darin üben, ihre Umgebung mit mehr Aufmerksamkeit wahrzunehmen, sonst werden sie alsbald ein Opfer des expandierenden Verkehrsaufkommens dieser Stadt. - Aber trösten sie sich erstmal mit der höchst interessanten Tatsache, daß alle ihre kleinen Unfälle der letzten beide Tage miteinander in Verbindung gebracht werden können. Nicht, daß daraus der Schluss zu ziehen wäre, jemand verübe pausenlos Anschläge auf sie, mein lieber Hatch. Aber sie haben ein außerordentliches Gespür dafür, sich zum exakt richtigen Zeitpunkt am falschen Orte aufzuhalten.


Hatch: [rafft sich langsam wieder auf]

Ihr Wort in Gottes Ohr, Professor, bevor meine aufmerksamen Schutzengel noch in den Streik treten. - Aber, sagen sie mal, wieso sind sie der Meinung, sämtliche Vorfälle hätten etwas gemeinsam?


Van Dusen:

Aber, Hatch, sind sie denn jetzt auch noch mit Blindheit geschlagen? Haben sie nicht die Kutsche bzw. jenen das Pferdegespann führenden Herrn in seiner schwarzer Kluft wiedererkannt?


Hatch:

Tut mir leid, daß ich es eher vorgezogen habe, mich aus meiner lebensbedrohlichen Situation zu katapultieren, als seelenruhig auf die Details einer Kutsche oder gar einer Person zu achten. Aber ihren Andeutungen entnehme ich, daß es sich wohl um dieselbe Kutsche handelt, die gestern abend vor dem Bahnhof an uns vorbeigerast ist, oder?


Van Dusen:

In der Tat, daran besteht nicht der geringste Zweifel. So ist mir aber auch das für einen Kutscher etwas außergewöhnliche Schuhwerk ins Auge gefallen, dessen Zweckdienlichkeit keinesfalls mit der Führung eines solchen Fahrzeuges harmoniert, da er an seinen Stiefeln noch die Sporen trug, die ihm kürzlich in einer ganz anderen Situation von Vorteil sein sollten. Aber auch das Brandzeichen der braunen Stute, ein großer Buchstabe Z mit zwei Wellenlinien durchzogen, ist ein eindeutiger Hinweis auf das gestrige Gespann. Abgesehen davon, kann einem nicht entgangen sein, daß Stil, Lackierung als auch eine markante Schramme am Chassis des Coupe unverkennbare Details vom Kutschfahrzeug sind, welches am Bahnhof entwendet worden ist.


Hatch:

Was will denn der mysteriöse Kutscher mit der schwarzen Maske bloß damit bezwecken, wenn er dauernd wie ein Tollwütiger durch die Gassen jagt? Ein Verrückter? Oder hat er wieder etwas gestohlen und ist auf der Flucht?


Van Dusen:

Sie gehen davon aus, daß der maskierte Mann von heute und jener vom Bahnhof ein und dieselbe Person darstellen? Das sollten sie unbedingt auseinanderhalten. Vielmehr handelt es sich bei dem heutigen Pferdehalter, welcher gerade eben so eindrucksvoll mit einer Karbatsche auf das Tier einschlug, um den Entführer des kleinen Jungen. Womit nunmehr alle, umschreiben wir sie mal als hippodrome Ereignisse, in Verbindung gebracht werden können.


Hatch:

Ich frage mich, wie sie so selbstsicher behaupten können, daß es sich um zwei verschiedene Männer handeln könnte. Mehr als die Augen konnte ich für meinen Teil nicht erkennen, falls man in der kurzen Zeit und vor lauter Aufregung überhaupt etwas hat wahrnehmen können.


Van Dusen:

Mittlerweile ist mir bekannt, daß sie mit ihrer körpereigenen visuellen Ausstattung weniger zum Beobachten neigen, denn zur Gafferei, und in letzter Zeit gar vermehrt träumend durch das Leben zu wandeln pflegen. Sie sollten sich langsam daran gewöhnt haben, daß ich durchaus in der Lage bin, Personen an gewissen wesentlichen Merkmalen des Gesichtes zu identifizieren. Und sollte die Aura eine Unbekannten erstmal noch im Verborgenen liegen, so genügt mir lediglich seine Auricula, ich meine damit die Ohren desjenigen, um ihn zu demaskieren.


Hatch:

Aah, ja doch, die Ohren. Wie beim Wettbewerb der Detektive, als sie den überheblichen Shemlock Homes trotz seiner albernen Verkleidung sofort entlarvt haben. Das war vor etwas mehr als einem halben Jahr, nicht wahr?


Van Dusen:

Richtig. Um genauer zu sein, im September letzten Jahres. Aber richten wir unser Augenmerk wieder verstärkt auf den jetzigen Fall....


Hatch: [unterbricht den Professor]

Fall? - Ich wußte gar nicht, daß wir so hopplahopp inmitten eines neuen Falls stecken?


Van Dusen:

Das wird sich uns mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bald offenbaren, Hatch. Alles deutet darauf hin, daß sich der Kette an Ereignissen noch ein weiteres Glied anfügen wird. Vielleicht ist ihnen aufgefallen, daß der Polizist auf der gegenüberliegenden Straßenseite plötzlich nicht mehr anzutreffen ist, obwohl bis vor kurzem sogar zwei uniformierte Personen als Schutzwachen dort ihrer Dienstpflicht nachgingen. Des weiteren hatte die an uns vorbeiratternde Kutsche erst vor wenigen Minuten an jenem Portal einen kurzen Halt eingelegt. Sehr merkwürdig, wenn nicht sogar äußerst suspekt.


Hatch:

Sie meinen doch nicht etwa, daß hier rund um den Platz eine Show abgezogen worden ist, ja, ein Ablenkungsmanöver mit Popanz inszeniert wurde, damit wir alle unser Interesse auf etwas anderes richten als auf das unbewachte Gebäude?


Van Dusen:

Kommen sie, Hatch, beeilen sie sich. Wir müssen sofort zum Portal des Gebäudes hinüberlaufen. Dort wird uns die vorerst letzte und in der Hauptsache geplante Episode dieser sehr trickreich fingierten Scharade erwarten. Auf geht´s! [Van Dusen und Hatch laufen zum Gebäudeportal]


Van Dusen: [steht am Portal vor einem massiven Tor]

Mmh, die große Eichentür läßt sich leider von außen nicht öffnen, aber sie ist, wie mir scheint, auch nicht verschlossen. Ein von innen vorgeschobener Riegel verwehrt uns die Möglichkeit des direkten Zutritts. Da ich den Eingang seit den letzten Minuten, noch bevor die Kutsche vorgefahren ist, sporadisch im Auge behalten habe, werden sich die einzelnen Personen noch im Gebäude aufhalten müssen. - Einen Moment, ich werde den Versuch unternehmen, an der Tür zu lauschen. - Mmh, sehr seltsam. Es ist mucksmäuschen still. Nicht das Geringste von einem Geräusch wahrnehmbar.


Hatch:

Vielleicht sind ja doch schon alle ausgeflogen?


Van Dusen:

Das möchte ich stark anzweifeln. Aber lassen sie uns erstmal, sagen wir, exakt zwei Minuten verstreichen, und der Dinge harren, die sich ereignen werden.


Hatch:

Und davon versprechen sie sich was?


Van Dusen:

Ich verspreche mir etwas von ihnen, Hatch, da ich sie darum bitten werde, die nun verbleibende Zeit damit zu verbringen, mit energischer Durchdringlichkeit an diesem Tore zu klopfen. Zeigen sie mal, wie schlagkräftig sie sich Gehör verschaffen können. - Na, nun machen sie schon, Hatch! Schlagen sie gehörig Radau. Klopfen sie!


Hatch: [macht ein verwunderten Gesichtsausdruck]

Wenn sie meinen, Professor. [bummert an die Eichentür]

Hallo! Ist da jemand? - Hallo! Machen sie bitte auf! - Kann mich jemand hören? - Bitte aufmachen!

[klopft unermüdlich weiter] Da rührt sich nichts. Meinen sie nicht, wir sollten damit aufhören? Die Leute gucken schon alle sehr verwundert, Professor.


Van Dusen:

Nicht aufhören, Hatch, weiterklopfen. Wenn sich in der nächsten Minute das Tor nicht öffnen sollte, wären wir genötigt, diese gewaltsam aufzubrechen. Ich will nur hoffen, daß nach ihrer beharrlichen Klopferei nicht doch noch jene brachiale Vorgehensweise folgen muss.


Hatch als Erzähler:

Und genauso wie der Professor es vorausgeahnt hatte traf es dann auch ein. Ich hämmerte etwa eine weitere halbe Minute lang, als plötzlich ein Schnappen am Türschloss zu hören war und diese sich ganz langsam öffnete. Gespannt schauten wir, wer sich wohl bald am Eingang zeigen würde. Stattdessen geschah für einen Moment überhaupt nichts, bis auf einmal ein Mann rückwärts aus dem Gebaude trat. Dabei mühte sich dieser Jemand damit ab, einen bewußtlosen Polizisten nach draußen zu schleppen, wobei dann noch zwei weitere Personen im Gefolge zum Vorschein kamen, die jeweils ein Bein des benebelten Wachpostens unterm Arm trugen. Kurz vor der Treppe des Portals wurde der benommene Polizist vorsichtig abgesetzt, der eigenartigerweise im Unterhemd gekleidet war. Jetzt erst bemerkte ich, und ich wollte es anfangs nicht glauben was ich da sah, daß nämlich alle drei Männer ein tränenüberströmtes und dazu noch mit puterroten Flecken geschecktes Gesicht zeigten. Hinzukommend eskalierte die ganze Sache, als einer der Männer, einer von großgewachsener Statur und mit russischem Akzent, einem dagegen kleinen Persönchen, welcher sich durch sein asiatisches Aussehen und einer kehliger Stimme auszeichnete, wüste Beschimpfungen an den Kopf schmiss. Der dritte im Bunde versuchte durch beschwichtigende Gesten und auf diplomatische Weise, die beiden Streithähne zu besänftigen, während der Professor und meine Wenigkeit das muntere Treiben verfolgten.


S.Pasternak: [mit russischen Akzent sprechend]

Du verrfluchterr, schlitzäugigerr Verrätter! Daas ist doch ein Komplott, geggen mich, geggen das ruussische Volk, geggen unserre Ehrre und unserren erlauchten Zarr Nikolaus II höchstperrsönlich! Das wirrd Nachspiel habben, du grinsenderr Zwerrg.


K.Tsukagoshi: [steht seinem Widersacher mit stolzgeschwellter Brust gegenüber und spricht in einem lupenreinen Englisch]

Wenn ich gewußt hätte, mit was für einen primitiven Grobklotz ich es zu tun haben würde, wäre meine Reise sicherlich direkt nach Amerika gegangen! Stattdessen muß ich mir solche Unterstellungen gefallen lassen und dann noch von jemanden, dessen kulturelle Bildung von ähnlicher karger Spärlichkeit geprägt ist, wie die winterlich sibirische Tundra von blühenden Landschaften.


S.Pasternak:

Aus dirr mache ich Tarrtar, hinterlistigerr Zwerrg!


von Klausen: [kniet sich vor dem bewußtlosen Polizisten hin]

Aber, aber, meine Herren, echauffieren sie sich doch bitte nicht gegenseitig. Bitte nehmen sie von jeglichen unbegründeten Ressentiments Abstand und lassen sie uns wieder den Teppich der Diplomatie betreten. Solange wir das eben Erlebte nicht richtig einordnen können, sollten wir weiterhin auf einer mehr versöhnlichen Basis kommunizieren. Außerdem sollten wir uns vornehmlich erstmal um den Zustand des Polizisten Pepr kümmern. [schlägt Pepr auf die rechte Wange]

Hallo Pepr, kommen sie zu sich!


S.Pasternak:

Von was für Basis sprrechen wirr? Es gibbt keine Basis mehrr. Nicht fürr mich, und nicht fürr Sie. Dieserr durchtrriebene Japanerr haat uns beide bestohlen! Eiskalt hinterrgangen haat er uns! Wahrrscheinlich steckt dieserr Jammerlappen von Wachbeamterr mit Banditten unterr einer Decke. Derr soll bloß liegen bleiben!


von Klausen:

Sssch... [flüsternd] Ich bitte Sie, Herr Pasternak, nicht so laut in aller Öffentlichkeit. [kümmert sich wieder um Pepr] Welch ein Glück, er erlangt gerade wieder sein Bewußtsein. Na, wie geht es ihnen, Pepr?


Pepr: [rappelt sich auf und stöhnt vor sich hin]

Oah, mir ist so übel. - Uuuch!


Von Klausen: [schaut nun zu Van Dusen und Hatch herüber]

Darf ich fragen, wer die beiden Herren sind, und warum sie so mit aller Heftigkeit angeklopft haben?

Was haben sie eigentlich hier zu suchen?


Van Dusen:

Um die sehr ausschweifenden Insultationen der beiden erhitzten Herren für eine kurze Zeit zu unterbrechen, möchte ich hiermit die Gelegenheit nutzen, mich vorzustellen. Ich bin Professor Van Dusen ...

[Hatch unterbricht den Professor]



Hatch:

Professor Dr. Dr. Dr. Augustus Van Dusen. Den Meisten in der Welt als die „Denkmaschine“ geläufig und bekannt, welche sich Angesichts der höchst interessanten und aufregenden Begebenheiten hier an Ort und Stelle dazu geneigt sieht, den Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Sie können sich glücklich schätzen ....


von Klausen: [unterbricht nun Hatch]

Wer sind Sie denn überhaupt? Können Sie sich ausweisen? Sie sind doch Ausländer, und ihrer Garderobe zu urteilen, wahrscheinlich auch noch Amerikaner.


S. Pasternak:

Amerrikanerr! Das fehlt mirr gerrade noch.


Hatch: [jetzt von Klausen etwas schroffer antwortend]

Und ob wir das sind, wenn sie nichts dagegen haben. Und da sie mich so nett darum bitten, hier mein Ausweis vom Daily New Yorker, der mich als Reporter dieses Weltblattes legitimiert. Und eines lassen sie sich gleich gesagt sein. Ein kleiner Skandal auf der Titelseite des Daily New Yorker kann sich ganz schnell mal zu einem brisanten Lauffeuer in der Welt entwickeln.


von Klausen: [schaut auf den Ausweis und begegnet Hatch nun äußerst freundlich]

Ganz gemach, Mr. Hatch? Wir wollen doch nicht überstürzt mit Kanonen auf Spatzen schießen. Als Vermittler zwischen diesen beiden etwas gereizten Parteien, möchte ich das Geschehene nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Die Sache hat eine, ja wie soll ich es ausdrücken, eine gewisse politische Tragweite, wenn Sie verstehen?


Van Dusen:

Wir verstehen schon, Herr ? - Wenn sie doch so entgegenkommend wären und sich ebenfalls uns vorstellen würden.


von Klausen:

Sicherlich, Herr Professor – [zählt zögerlich fragend die Titel auf] – Doktor, Doktor , Doktor Van Dusen?


Van Dusen: [kontert etwas gereizt]

Die Nennung meiner zahlreichen Titel können sie sich künftig sparen! Also wie ist ihr werter Name?!


von Klausen:

Von Klausen, Bohumil von Klausen. Erst kürzlich vom Stadtverordnetenkollegium aus in das Amt des Stadtrats berufen, wenn sie gestatten.


Van Dusen:

Und würden sie uns vielleicht mitteilen, was sich kürzlich hinter dieser Türe abgespielt hat? Aus amateur-kriminologischer Sicht würde ich allzu gerne in Erfahrung bringen, welche Dinge sich dort zugetragen haben und warum sie Opfer eines sehr ungewöhnlich anmutenden Anschlages geworden sind. Sie wollen doch nicht abstreiten, daß ihnen eine Flüssigkeit ins Gesicht gespritzt worden ist, die zu den unübersehbaren Hautreizungen geführt haben müssen?


von Klausen:

Ja, ziemlich bestialisch, dieses Zeug. - Herr Professor Van Dusen, vielleicht könnten wir uns darüber verständigen, wie wir die ganze Sache am besten angehen. Ich muß gestehen, daß ich mich in einer Zwickmühle befinde. Einerseits liegt mir das Interesse fern, die Angelegenheit sowie die beteiligten Personen an die Öffentlichkeit zu tragen, andererseits darf ich ihnen leider keine weiteren Auskünfte erteilen. In diesem besonderen Fall möchte ich Mr. Hatch wirklich sehr darum bitten, in seiner Eigenschaft als Reporter nicht tätig zu werden. Ich wäre Mr. Hatch äußerst verbunden, wenn er nicht gleich alle Pferde scheu machen würde.


Van Dusen: [spöttelnd]

Sie können sich darauf verlassen, daß bezugnehmend auf das Scheumachen von Pferden Mr. Hatch sicherlich für die nächste Zeit kuriert sein wird.


von Klausen:

Wie soll ich das verstehen?


Van Dusen:

Das tut nichts zur Sache, Herr von Klausen. - Da sie sich von ihrer prekären Ausgangsposition her selber in der Zwickmühle wissen, liege ich sicher nicht damit verkehrt, daß sie zu einer gedeihlichen Kooperation bereit wären. Mich interessiert dieser Fall, und ich werde mich keinesfalls davon abhalten lassen, die geheimnisvollen Ereignissen bis ins Detail zu verfolgen. Sollten sie anderer Ansicht sein, dann wird ein ausführliches Gespräch zwischen meiner Person und der des Innenministers sie eventuell doch noch dazu bewegen, mir Rede und Antwort zu stehen. Ich genieße in dieser Stadt ein hohes Ansehen und bin außerdem mehrfaches Ehrenmitglied der hier ansässigen wissenschaftlichen Akademien der Karls-Universität.


von Klausen:

Aber genau da liegt doch der Hund begraben. Ich muß zumindestens solange jegliche Informationen zurückhalten, bis ich mit dem Innen- und Außenministerium gesprochen habe. Und in diesem Fall darf ich ihnen nicht einmal Einlaß ins Gebäude gewähren. Ohne Einverständnis von höchster Stelle sind mir die Hände gebunden.


Hatch:

Wollen sie sich darauf einlassen, Professor? Ich sehe schon die fettgedruckte Schlagzeile. Mysteriöses Geheimtreffen zwischen Russen und Japaner endet mit schrecklichem Säureanschlag. Was ...


Van Dusen: [fährt Hatch in die Parade]

Übertreiben sie doch nicht so maßlos mit ihren wahnwitzigen Phantasien, Hatch! Es liegt nicht im mindesten ein Säureanschlag vor, oder sehen sie auch nur die Spur einer Verätzung bei den Herren?


Hatch: [überrascht]

Äh, nicht? - Wenn sie das sagen.


Van Dusen:

Herr von Klausen, ich erwarte von ihnen unverzüglich Nachricht, sobald sie das Einverständnis des Ministeriums eingeholt haben. Diese hinterlegen sie bitte im Savoy-Hotel, wo ich und Mr. Hatch derzeit logieren. Bis dahin ziehe ich es vor, in eigener Regie tätig zu werden und entsprechende Aktivitäten vorzunehmen. Ich will nur hoffen, daß dadurch nicht weitere kostbare Zeit vergeudet wird. Wünsche den Herren noch einen angenehmen Tag. - Kommen sie, Hatch.


Hatch als Erzähler:

Der Professor hatte sich mal wieder an einer rätselhaften Sache festgebissen mit der er seinem Anspruch, als der genialste Amateur-Kriminologe der Welt zu gelten, gerecht werden konnte. Eine gewisse Freude konnte ich Van Dusen sofort vom Gesicht ablesen, daß er die nimmermüden grauen Zellen endlich wieder auf Hochtouren bringen durfte. Aber unterschwellig schwang auch etwas Verbitterung durch die Tatsache mit, daß man ihm, dem großen Mann der Wissenschaftlen, einfach Informationen vorenthielt auf die er so sehnlichst brannte. Fürs erste bewegten wir uns ein paar Schritte vom Tatort weg, wobei der Professor etwas geheimnisvoll tat. Sodann stellten wir Überlegungen an, besser gesagt der Professor teilte mir seine kurzerhand gefassten Entscheidungen mit, welche wichtigen Schritte zunächst vorzunehmen wären.


Van Dusen: [zieht Hatch zu sich heran und flüstert ihm etwas zu]

Mein lieber Hatch, treten sie mal etwas näher an mich heran. Ich will ihnen vorab die Empfehlung nahelegen, einer gewissen Person mit Argwohn zu begegnen.


Hatch:

Also, den Dreien dort drüben würde ich sowieso nicht über den Weg trauen.


Van Dusen:

Ich meine im Speziellen die höchst kuriose Tatsache, daß einer der Herren, und sie haben es doch hoffentlich bemerkt, Hatch, von den dermalen Irritationen des Gesichtes her betrachtet, abweichende Besonderheiten aufweist.


Hatch:

Da kann ich ihnen nicht folgen, Professor. Den hat doch allen das Gesicht wie Feuer gebrannt. Die Schweißperlen standen zumindestens bei jedem der Betroffenen auf der Stirn. Darauf würd´ ich meinen Hut verwetten.


Van Dusen:

Ah, sie begreifen immer noch nicht, worauf ich hinaus will. Um es auch ihnen glasklar verständlich zu machen, der hier als Vermittler auftretende Herr von Klausen hatte sonderbarerweise keine geröteten Augen wie die beiden anderen Herren. Stattdessen zeigten sich vielmehr die geschwollenen Lippen als auch die deutlich sichtbaren Reizungen der Schleimhaut im oralen Bereich. Abgesehen davon, waren ganz deutlich an der linken Schuhspitze einige Kratzer zu sehen, wobei der rechte Schuh wie neu poliert gewesen ist. Darauf muß es ebenfalls eine Antwort geben.


Hatch:

Sie können doch nicht verlangen, daß jeder Mensch gleich empfindlich reagiert. Abgesehen davon, wer sagt ihnen denn überhaupt, daß alle drei genau die gleiche Menge von dieser geheimnissvollen Flüssigkeit oder Chemikalie abgekommen haben.


Van Dusen: [erbost mit provokanter Stimme]

Wollen sie vielleicht damit andeuten, ich könnte diesbezüglich einem Irrtum erliegen?


Hatch: [reagiert sofort mit einer entschuldigenden Geste]

Oh, wo denken sie hin, Professor. Nein, nein, das würde ich nie behaupten. Für mich ist das bloß ein bißchen schwer nachvollziehbar.


Van Dusen:

Anscheinend doch eher mehr als nur ein bißchen. Aber lassen wir das und verschieben diesen Punkt der Erörterung auf einen späteren Zeitpunkt. - Ich werde kurz überlegen, welche wichtigen Aktivitäten als nächste zu folgen haben. - Da wäre einmal die Familie Küster, die zu meinem Leidwesen inzwischen den Ort des Geschehens verlassen hat. Es wäre sicherlich sehr von Vorteil, nochmal eine Unterredung mit dem Herrn Küster zu initiieren. Das Auffinden der Familie als auch die Vorbereitung einer Zusammenkunft überlasse ich voll und ganz ihrer Person, mein lieber Hatch.


Hatch: [fühlt sich durch Van Dusens Äußerung überrannt]

Wie? Wie soll ich denn ...


Van Dusen: [spricht energisch weiter und übergeht Hatchs Einwand]

Z-w-e-i-t-e-n-s, sollten wir in Erwägung ziehen, eventuelle Zeugenaussagen von Passanten, wie z.B. jenem jungen Mädchen mit dem Bauchladen dort drüben, als zusätzliche Informationsquellen heranzuziehen. Drittens, werden wir in Kürze, wenn die Herren sich dazu bequemt haben den Tatort zu verlassen, zum Portal zurückkehren und nach weiteren Spuren Ausschau halten. Außerdem werden wir schließlich die Rückfahrt zum Hotel antreten. Dort warten wir zunächst ab, daß meiner Person die Nachricht überbracht wird, den Fall mit allen mir zustehenden Rechten zu übernehmen, und man mich endlich als d-e-n Experten auf dem Gebiet der Kriminologie in die Vorkommnisse der letzten Stunde einweiht. Ich werde jenen Herren ihre arrogante Verblendung schon vor Augen führen, einen Professor Dr. Dr. Dr. Van Dusen einfach vor der Tür stehen zu lassen, statt mich sofort in dieser Angelegenheit zu konsultieren.


Hatch:

Ganz recht, Professor. Ein Skandal ist das. Aber, sie werden das Kind schon schaukeln.


Van Dusen: [stutzt ein wenig]

Wie bitte?


Hatch:

Ich meine, sie werden selbstverständlich und in der gewohnten Weise die ganze bizarre Geschichte durchleuchten, und dann natürlich auch einer allumfassenden Auflösung zuführen.


Van Dusen: [rhetorisch fragend]

Haben sie mich je anders erlebt, mein lieber Hatch?


Hatch als Erzähler:

Eine Antwort darauf konnte ich mir ersparen. Deshalb schüttelte ich nur beipflichtend mit dem Kopf. In diesem Moment kam eine Droschke an uns vorbei, die durch Herrn von Klausen herbeigewunken wurde. Die Herren stiegen ein, wobei Polizist Pepr nur durch die tatkräftige Unterstützung von Klausens in der Lage war, den Wagen einigermaßen aufrechtstehend zu erklimmen. Das war das Signal für Van Dusen, sich sofort zum Gebäude zu begeben, um dort, so wie wir ihn alle schon des öfteren kennengelernt haben, mit völlig durchgeistetem Wesen nach Spuren Ausschau zu halten. Wie es seine Gewohnheit ist, murmelte er seine gefassten Gedankengänge still vor sich hin.


Van Dusen: [steht vor dem Portal, schaut sich etwas um, und dreht sich dann zur Straßenseite um]

Hmm, die schwere Tür läßt nur wenig Interessantes entdecken. Was hier sehr auffällig in Erscheinung tritt, ist lediglich die etwa 3cm breite Schleifspur auf dem Steinpodest, welche sich direkt vor dem verschlossenen Tor abzeichnet und auch noch sehr frisch scheint. Das kann nur bedeuten ... [Van Dusen bricht kurz ab] – Ah, ja, da haben wir auch schon das gesuchte Detail. Ein schmaler Holzkeil mit etwas anhaftendender schwarzer Farbe, circa 5cm lang sowie 3cm breit, welcher hier in den Rinnstein befördert worden ist, nachdem er seinen Zweck erfüllt hat. - Gibt es noch etwas Interessantes entlang der Straßenpflasterung? - Mmh, soweit es aussieht, einzig und allein die Tatsache, daß an jener Stelle, die durch ein Pferd verrichtete Notdurft, zu einer durchaus aufschlußreichen Hinterlassenschaft geführt hat. [Van Dusen bückt sich, um einen Haufen Pferdemist näher zu betrachten] – Aah, sehr interessant, und sicherlich nicht von geringer Wichtigkeit.


Hatch: [schaut etwas ungläubig]

Sagen sie mal, Professor, sie wollen doch nicht in den Pferdeäpfeln rumstochern, oder? [witzelnd]

Wahrscheinlich werden sie mir gleich sagen, welche Pferderasse dafür verantwortlich ist und wie alt der Zosse wohl gewesen ist, haha.


Van Dusen: [mit ernstem Blick]

Mein lieber Hatch, es handelt sich offensichtlich um eine Stute der Noniusz-Rasse vom Typus Araberblut. Eine in Ungar nicht selten anzutreffende Pferderasse, die in ganz Europa ihre Abnehmer gefunden hat. Zumeist werden sie in der Eigenschaft als Kavallerie-Pferde bevorzugt, wobei es sich häufig um sogenannte Remonten handelt, also um 3 bis 5 jährige Jungtiere. Unser Exemplar ist geringfügig älter. Mmh, meiner Schätzung nach müsste das Alter der besagten Stute zwischen 6 und 7 Jahre sein. Keinesfalls jünger.


Hatch: [verblüfft]

Ääh, Professor, lesen sie sowas etwa aus dem frischen Mist?


Van Dusen: [belustigt antwortend]

Wo denken sie hin, Hatch. Soweit möchte ich nun doch nicht gehen, an dem hier vorliegenden Residuum tiersichen Ursprungs, eine tiefergreifend detailierte Analyse vorzunehmen. Was ich ihnen lediglich mitgeteilt habe erschließt sich vielmehr aus den Beobachtungen des bisher sehr ereignisreichen Vormittags.


Hatch:

Da bin ich ja beruhigt. Ich hatte schon die Befürchtung, sie würden sich etwas davon noch einpacken wollen, um weiterführende Untersuchungen daran anzustellen.


Van Dusen:

Auf diesen Gedanken können auch nur sie kommen, Hatch. War mir doch sofort sonnenklar, daß die kurzen Gliedmaße und die straffen Proportionen, aber auch die signifikanten langen Ohren und kleinen Augen, nur auf eine Noniusz-Stute passen können. Hinzukommend die typische kastanienbraune Färbung als auch die ausgeprägt abfallende Kruppe, womit der erhöhte Bereich des Pferderückens gemeint ist, sind weitere eindeutige und unumstößliche Merkmale, die mir dabei in den Sinn kamen. Das Alter läßt sich natürlich durch die Tatsache ergründen, da es sich um ein noch relativ junges Tier handelt, welches aber schon ausgewachsen ist.


Hatch:

Und? Bringt uns das irgendwie weiter?


Van Dusen:

Immerhin eröffnet uns die Beschreibung des Gespanns eine weitere Möglichkeit, den Kutscher von gestern abend wieder aufzufinden, um bei unseren Examinationen weitere zweckdienliche Hinweise in Empfang nehmen können. Aber viel wichtiger erscheint mir in diesem Fall, daß die Kutsche, besser gesagt die Räder des Fuhrwerks, direkt durch die fäkalen Überbleibsel führen. Und wenn sie sich die Markierungen genauer anschauen, so sehen sie zwei parallele Radspuren, etwa 10cm auseinanderliegend, welche wiederum von zwei weiteren Radspuren im Winkel von ca. 20 Grad durchkreuzt worden sind. Was sich somit ergeben hat, ist die interessante geometrische Figur eines Parallelogramms. Sehr schön, äußerst bemerkenswert.


Hatch:

Aber Professor, das ist kaum die richtige Zeit, um Lobeshymnen über irgendwelche mathematische Figuren abzuhalten. Schon gar nicht an einem solchen Beispiel. Ist doch abstoßend, igitt!

Van Dusen:

W-e-n-n sie sich in Erinnerung rufen, daß die Kutsche über eine starre Hinterachse verfügt, vorne am Kutschbock dagegen eine die Fahrtrichtung bestimmende drehbare Deichsel gegeben ist, sollte ihnen das zu denken geben, mein lieber Hatch.


Hatch: [mit fragendem Blick]

Bisher verstehe ich nur Bahnhof. Ich weiß ja nicht mal im mindesten, worum es in diesem Fall geht. Geschweige denn, worauf ich achten sollte. Immer gestehen sie mir nur ein paar Krumen von der Wahrheit zu. - Sagen sie mir doch bitte, was es damit auf sich hat?


Van Dusen:

Später, mein lieber Hatch, später. Es wird noch genügend Zeit sein, zu gebotener Stunde und in dem gebührenden Rahmen die Geheimnisse an den Tag zu legen. Jetzt sollten wir uns erstmal darum kümmern, das junge Mädchen nicht aus den Augen zu lassen. Kommen sie, Hatch.


Hatch als Erzähler:

Das kleine blonde Mädchen mit dem Bauchladen war nämlich gerade im Begriff, ihren Weg Richtung Wenzelsplatz einzuschlagen, wahrscheinlich um dort ihr Glück bei dem Verkauf von Streichhözern zu probieren. Wir beeilten uns daher, das junge Mädchen zu verfolgen und schleunigst einzuholen. Da der Professor, seiner würdevollen Person entsprechend, nur mit gemäßigten Schrittempo die Verfolgung aufnahm, war ich es natürlich, der dem Kind hinterherlaufen mußte, bis ich endlich mit der Kleinen aufschloß.


Hatch:

Warte doch mal, Kleine! Bleib´doch einen Moment mal stehen. - Puh, du kannst einen ganz schön auf Trab halten. [atmet tief durch]


Mala: [dreht sich zu Hatch um]

Was wünschen der Herr? Vielleicht eine Packung Streichhölzer? Oder wie wär es mit einer Nelke? Eine hab´ ich noch übrig behalten.


Hatch:

Mal überlegen.- Doch, eine Packung Streichhölzer für meine Corona-Corona kommen mir ganz recht, falls du überhaupt Dollars annehmen solltest. Momentan habe ich kein anderes Geld bei mir, kleine Dame.


Mala:

Geht klar. -Wollen sie nicht die schöne Nelke doch noch nehmen? Sie passt so schön zu ihrem Anzug.


Hatch:

Na schön, aber beeile dich mit den Streichhölzern, bevor der Professor hier eintrifft. [nimmt schnell die Streichhölzer entgegen] - Hier, da hast du einen Dollar.



Van Dusen: [trifft jetzt auch ein]

Hatch, seien sie doch nicht so knauserig. Nun geben sie dem Kind schon 5 Dollar, es ist doch schließlich heute Sonntag, nicht wahr?

Hatch: [kramt einen Geldschein hervor, bezahlt und steckt sich die Nelke in ein Knopfloch seines Jackets] - Na gut, weil es Sonntag ist...


Van Dusen:

...und weil sie mir ihren heimlichen kleinen Kauf verborgen halten. Sie können mir nicht vormachen, daß sie sich allein mit dem Erwerb jener Nelke schmücken wollten. Ich habe genau gesehen, wie sie sich Zündhölzer eingesteckt haben, einzig und allein zu dem Zweck, ihrem unstillbaren Laster des Zigarrenrauchens zu frönen.


Hatch:

Eine Leidenschaft, die uns schon einmal aus der Bredouille geholfen hat. Sie erinnern sich doch noch an „Die Maske“ und der lebensbedrohlichen Situation auf dem Schienenstrang. Da hat Hutchinson Hatch höchstpersönlich dafür gesorgt, daß der Zug zum Halten kam.


Van Dusen:

Spielen sie sich nicht so auf, Hatch. Wir wollen das junge Mädchen wohl kaum mit ihren belanglosen Reminiszenzen langweilen. - Mein liebes Kind, möglicherweise könntest du uns einen wichtigen Hinweis aus deinen Beobachtungen liefern. Sicherlich bist du in der letzten Stunde in dieser Gegend deiner geschäftigen Tätigkeit nachgegangen und hast somit das eine oder andere bemerkt, was sich in dieser Straße abgespielt hat?


Mala: [runzelt mit der Stirn]

Ja, das kann schon sein, daß ich was gesehen habe. Dieses Stadtviertel ist mein zuhause. Was wollen sie denn wissen, meine Herren?


Van Dusen:

Siehst du jenes Gebäude mit der vorgelagerten Treppe? Hier hat bis vor kurzem noch ein Polizist gestanden. Des weiteren sollte dort auch eine Kutsche vorgefahren sein. Kannst du dich an diese Kutsche erinnern?


Mala:

Na klar. Da ist eine Kutsche gewesen, wie lange weiß ich jetzt nicht mehr so genau, aber der Polizist stand auch dort. Irgendwann ist die Kutsche weggefahren, und das war es dann.


Van Dusen:

Mehr weißt du nicht zu berichten? Und der Polizist war noch an derselben Stelle gewesen?


Mala:

Ja, er hat sich nicht von der Stelle bewegt, mein Herr.


Egon: [aus einer Gebäudenische tritt ein junger Mann hervor, der dort heimlich gelauscht hat]

Sag´mal, was erzählst du denn für Märchen, Mala. Das stimmt doch gar nicht. - Entschuldigen sie, das ich eben ein wenig gelauscht habe, aber auf ihre Frage kann ich bestimmt besser drauf antworten.


Hatch:

Ein heimlicher Lauscher, das ist aber nicht die feine englische Art, Bürschchen!


Van Dusen:

Hatch! Lassen sie den jungen Mann doch ausreden. Betrachten wir die Sache mal aus einer anderen Perspektive, bzw. von der Sicht des... , wie darf ich dich nennen, mein Junge?


Egon:

Nennen sie mich einfach Egon.

Van Dusen:

Nun gut, Egon. Was kannst du uns über die Kutsche erzählen. Aber bitte präzise, ...


Hatch: [setzt den Satz fort]

...detailiert und von anfang an.


Van Dusen:

Hatch! - Danke. - Nun? Wir sind sehr gespannt auf deinen Bericht.


Egon:

Sie erwähnten eben noch den Polizisten. Dieser Polizist stand vor dem Gebäude, die ganze Zeit lang. Dann auf einmal raste eine Kutsche an mir vorbei und hielt direkt vor dem Gebäude. Ich würde sagen, mmh, daß sie dort für etwa 3 Minuten hielt. Ich weiß das, weil ich gerade auf einem Treppenabsatz meine Zeitung gelesen habe und gelegentlich meinen Blick nach oben richtete. Und dabei konnte ich eine eigenartige Beobachtung machen.


Van Dusen:

Eigenartig? - [ungeduldig] Nun erzähle doch schon, Egon.


Egon:

Ich sah, wie der Polizist zur Kutsche ging und dort etwas in Empfang nahm. Es sah so aus wie eine graue Tonne mit einem Schlauch daran.


Van Dusen:

Aha, eine graue Tonne? Wie groß war dieses, ja, nennen wir es eher einen Behälter mit einer dazugehörigen Verbindung zu einem Schlauch?


Egon:

An die 15 cm im Durchmesser und in der Höhe etwa doppelt so lang.


Van Dusen:

Waren eventuell noch diverse Gurte an diesem Gerät zu sehen?


Egon: [staunt]

Woher wissen sie? Ja, wo sie das jetzt erwähnen. Genau solche Gurte hingen auch noch herab. Und dann bewegte sich der Polizist zur Tür, lief in das Gebäude hinein, worauf eine schwarz gekleidete Person aus der Kutsche sprang, die auch so einen komischen Behälter auf dem Rücken hatte, und ebenfalls in das Gebäude stürzte.


Van Dusen:

War diese Person maskiert, Egon?


Egon:

Oh, das ist schwer zu sagen. Irgendetwas bedeckte sein Gesicht, sah so aus wie ein dicker Rüssel.


Van Dusen:

Rüssel?


Egon:

Ja. Er rannte ziemlich schnell ins Gebäude. Aber so genau habe ich nicht darauf geachtet. Tut mir leid.


Van Dusen:

Gut. Geht die Geschichte noch weiter? Du sagtest, daß die Kutsche etwa drei Minuten dort stand. Was ist bis dahin geschehen?


Egon:

In der Zwischenzeit eigentlich nichts mehr. Schließlich kam der schwarzgekleidete Mann wieder aus dem Gebäude, sprang in die Kabine der Kutsche, holte eine bewußtlose Person heraus, die er mit dem Fahrer der Kutsche ins Gebäude schaffte. Der Fahrer lief dann einfach fort, während der schwarze Mann auf die Kutsche sprang und mit Karacho losfuhr. Der Polizist kam nicht mehr aus dem Gebäude heraus.


Van Dusen:

Bist du dir wirklich sicher, mein Junge, daß der Polizist nicht mehr nach draußen getreten ist?


Egon:

Ich bin mir absolut sicher.


Hatch:

Tja, Professor. Wem trauen sie nun mehr? Der kleinen Mala, oder dem plötzlich aus dem Hinterhalt hinzugestossenen Egon? Da ist doch was faul an der Geschichte, meinen sie nicht?


Van Dusen:

Wo haben sie denn gesessen, als sie Zeuge dieser Begebenheit geworden sind.


Egon: [zeigt in die Richtung einer Treppe, wo er gesessen hatte]

Genau dort.


Van Dusen:

Mmh, von dieser Stelle aus hat man eine äußerst günstige Sicht entlang dieser Straße und somit auch auf den Tatort.


Hatch:

Irgendeiner von euch lügt doch bestimmt. Zwei solche unterschiedliche Beobachtungen, das kann doch gar nicht angehen. Das widerspricht sich doch offensichtlich.


Van Dusen:

Nicht so voreilig, mein lieber Hatch. Sollten sich die Aussagen wirklich widersprechen, dann müßten wir die nicht wahrheitsgemäße Behauptung finden und ausschließen. In dieser Hinsicht würde ich ihnen voll und ganz zustimmen. - Aber wenden wir doch erstmal ein sich streng an die Logik haltendendes Ausschließungsprinzip an. Wir haben es bei den beiden Behauptungen um die Schilderung eines Ereignisses zu tun. Hier stellt sich die Frage, worüber sich eigentlich ein Ereignis eindeutig definiert. Nun, Hatch?



Hatch: [die Schulter zuckend]

Ich habe keinen Schimmer, Professor.


Van Dusen:

Natürlich durch die exakte Angabe des Ortes und die der Zeit. Wenn nun zwei Aussagen genau einen bestimmten Ort betreffen, in unserem Fall wäre dies das Gebäudeportal, dann folgern wir aus den verschiedenen Beobachtungen, daß entweder jemand gelogen hat, falls die Geschehnisse zur selben Zeit erfolgt sein sollten oder...?


Egon:

...oder keiner von uns hat gelogen und die beiden Ereignisse fanden zu unterschiedlichen Zeiten statt.


Van Dusen:

Richtig, Egon. Du scheinst mir ein helles Köpfchen zu sein. Sehr gut kombiniert. Genau das ist der springende Punkt. Ihr beiden habt zu unterschiedlichen Zeiten jeweils eine Kutsche vorfahren sehen, und das führt uns wieder zu der Spur auf der Straße, die sich in Form eines Parallelogramms abgezeichnet hat. Eben ein Beweis dafür, daß die Kutsche an ein und derselben Stellen zweimal gestanden haben muß. Beim Fortfahren des Vehikels hinterließen sowohl das eine Vorderrad als auch das Hinterrad jeweils eine Spur. Da die Kutsche beim zweiten Mal natürlich nicht exakt an derselben Stelle zum Stehen kam bzw. der Fahrer beim Wegfahren eine geringfügig anderen Kurs eingeschlagen hat, resultierten hieraus jene parallel verschobenen Radspuren. Ein für mich höchst evidenter Hinweis darauf, daß es sich von vornherein um zwei verschiedene Ereignisse handeln musste.


Mala:

Siehst du! Hab´ ich doch keine Märchen erzählt, Egon. - Du alter Angeber.


Van Dusen:

Da es höchstwahrscheinlich vergeudete Zeit bedeuten würde, hier nach weiteren Anhaltspunkten Ausschau zu halten, können wir erstmal ruhigen Gewissens zum Hotel zurückfahren. Aber vorher möchte ich unseren Egon noch die Frage stellen, ob er sich als ortskundiger junger Mann in assistierender Weise zur Verfügung stellen würde. Ich bin äußerst zuversichtlich, daß du mir noch sehr hilfreich sein könntest, zumal du über eine blitzschnelle Auffassungsgabe verfügst und ansonsten auch als sehr wißbegierig erscheinst.


Hatch:

Moment mal, Professor. Was ist denn mit mir? Ich bin doch ihr Assistent in Sachen Kriminologie.


Van Dusen:

Als Assistent werden sie mir natürlich von großer Hilfe sein. Aber sie können sich nicht um alles kümmern, Hatch. Beschäftigen sie sich erstmal vornehmlich mit dem Auffinden der Familie Küster. Alles weitere wird sich dann noch ergeben. - Nun, Egon? Willst du dich uns anschließen?


Egon:

Mit großem Vergnügen. Wenn ich Helfen kann? Für ein Abenteuer laß ich alles stehn und liegen, Herr Professor.


Hatch:

Ah, bevor wir fortfahren, muß ich dir den berühmten Mann vorstellen, den man auch als die „Denkmaschine“ bezeichnet. Vor dir steht kein geringerer als Professor Dr. Dr. Dr. Van Dusen. Und wo wir schon dabei sind, ich heiße Hatch, Hutchinson Hatch vom Daily New Yorker.


Egon:

Sie arbeiten für eine Zeitung in New York? Wow! Ich interessiere mich sehr für das Zeitungswesen. Ich will auch mal in Zukunft Reportagen schreiben. Das ist ja ein wahrer Glückstreffer sie kennenzulernen. Einen echten Journalisten, und noch dazu aus der Metropole New York.


Van Dusen: [im strengen Ton]

D-ü-r-f-t-e ich die beiden Herren daran erinnern, sich endlich dem hier vorliegendem Problem zu widmen. Wir haben keine Zeit für belanglose Plaudereien. Sie, Egon, bekommen von mir eine Aufgabe. Bitte leihen sie mir dazu doch ihre Zeitung. - Ja, danke. - So, ich skizziere dir hier ein Zeichen, ein Symbol mit dem du heute noch zum Kaiser-Franz-Josephs-Bahnhof läufst. Dort frage dich bei den Droschken- und Kutschenbesitzern durch, ob einer jenes Brandzeichen kennt und wo der dazugehörige Besitzer aufzufinden ist. Dieser Herr könnte mir unter Umständen noch sehr gewichtige Fakten aus seinen Beobachtungen mitteilen. [Van Dusen reißt ein Stück Papier ab] So, und auf diesem Stückchen Papier bitte ich dich nun, deine Adresse anzugeben. Ich und mein Freund Hatch werden zu gegebener Stunde dich von dort abholen. Bis dahin halte dich bereit, Egon.


Egon:

Klar, wird sofort in Angriff genommen, Herr Professor.


Van Dusen:

Dann wären wir uns einig. - Hatch, sorgen sie für eine Droschke, die uns zum Hotel bringt.


Hatch: [winkt einer Droschke zu]

Zur Befehl! Auftrag wird unverzüglich ausgeführt. - Melde gehorsamst, alles bereit für den Rückzug.


Van Dusen: [räuspert sich]

Hatch!


Hatch als Erzähler:

Gelegentlich komme ich einfach nicht umhin, dem Professor seinen Oberbefehlston unter die Nase zu reiben. Als Dank dafür begegnete er mir für den Rest der Fahrt ausgesprochen wortkarg. Na ja, so konnte ich mich immerhin entspannen und mir ein paar Gedanken darüber machen, wie ich wohl die Familie Küster aufspüren könne. Und in diesem Fall schien es mir das Beste, vom Savoy aus sämtliche Hotels und Pensionen Prags telefonisch abzuklappern. - Tja, was macht man doch nicht alles, als langjähriger Assistent der Denkmaschine. - Doch zuerst ließ sich der Professor an der Rezeption informieren, ob mittlerweile eine Nachricht für ihn eingegangen war. Da dies nicht der Fall war, gingen wir zu unserer Hotel-Suite. Dort mußte ich mich erstmal bei der Obstschale bedienen und aß vor dem Balkonfenster genüsslich einen Apfel.


Van Dusen:

Worauf warten sie, Hatch? Wir haben keine Zeit zu verschenken. Holen sie mir Küsters herbei.


Hatch: [antwortet schmatzend]

Nur die Ruhe, Professor. Wenn ich schon nicht frühstücken durfte, so lassen sie mir doch wenigsten diesen kleinen Happen. [tritt hinaus auf den Balkon]


Van Dusen:

Aber beeilen sie sich.


Hatch:

Ja, ja. [starrt nach draußen auf die Straße und macht eine Entdeckung / flüstert leise zu sich]

Moment mal. Hab´ ich da nicht eben einen kleinen blauen Jungen gesehen. Sollte es möglich sein...?


Hatch als Erzähler:

Und so war es auch. Nachdem ich mich ein wenig über die Brüstung gebeugt hatte, sah ich auf einmal die ganze Rasselbande. Die vier Kinder der Küsters, die anscheinend vor dem Hotel herumhüpften und „Himmel und Hölle“ spielten. Das konnte nur bedeuten, daß sie ebenfalls im Savoy einquartiert waren. Welch ein Glück. Ich ging dann wieder zu Van Dusen hinein, ließ mir aber nichts anmerken.


Hatch:

Dann werde ich mal loslegen und meine viel zu selten gelobten detektivischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Ich treffe sie wieder hier an, Professor?


Van Dusen:

Das werden sie. - Äh, Hatch, dürfte ich fragen, was sie im weiteren zu tun gedenken?


Hatch:

Ach, lassen sie mich nur machen. Kleines Betriebsgeheimnis, wenn sie so wollen. Also bis später, Professor. [Hatch verläßt schnurstracks das Zimmer]


Hatch als Erzähler:

Ich ließ den etwas verblüfft ausschauenden Professor in der Suite zurück und begab mich sogleich zur Rezeption, um die Zimmernummer des Herrn Küster in Erfahrung zu bringen. Doch auch diesen Weg konnte ich mir sparen, da das gesuchte Ehepaar im Foyer saß und sich dort Kaffee und Kuchen schmecken ließ. Ich setzte mich dazu, bestellte ebenfalls ein Stück Kuchen, und führten eine angeregte Unterhaltung über Gott und die Welt. Dem Professor mußte ich ja den glücklichen Zufall meiner Entdeckung nicht gleich auf die Nase binden. Somit verging eine viertel Stunde bis ich mich wieder auf dem Weg zur Suite machte.


Hatch: [betritt das Zimmer]

So, das wärs.


Van Dusen: [ungläubig]

Sie sind schon wieder da, Hatch? Wie soll ich das verstehen?


Hatch:

Wünschen sie, daß Herr Küster sogleich nach oben kommt, oder wollen sie zu ihm ins Foyer?


Van Dusen:

Der Herr befindet sich unten im Foyer? Ausgezeichnet, Hatch. Sehr lobenswert. - Ja, bitten sie ihn in unsere Suite. Aber eine Erklärung sind sie mir trotzdem noch schuldig.


Hatch: [beim hinausgehen]

Gönnen sie mir doch auch einmal ein klitzekleines Geheimnis.


Van Dusen: [schnauft ein wenig]

Wenn ihnen soviel daran gelegen ist.


Hatch als Erzähler:

Keine zwei Minuten vergingen, als ich wieder zurück war und Herr Küster in die Suite geleitete, wo Van Dusen schon am Tisch platzgenommen hatte, um seinen Gesprächspartner zu empfangen.


Van Dusen:

Welch eine Freude, sie hier so baldigst wieder antreffen zu dürfen, Herr Küster. Gehe ich recht in der Annahme, daß sie ebenfalls ein Gast dieses Hotels sind?


Hr. Küster:

Was für ein Zufall, nicht wahr. Ich saß gerade mit meiner Frau beim Kaffee, als uns vor einer viertel Stunde das wohlbekannte Gesicht des heldenhaften Mr. Hatch entgegenschritt.


Van Dusen: [blickt strafend zu Hatch]

Viertel Stunde? Das erklärt alles.


Hatch als Erzähler:

Autsch! Das mußte ja wieder so kommen. Am liebsten wäre ich in diesem Moment unsichtbar gewesen oder zumindestens soweit zusammengeschrumpft, daß ich mich unter dem Teppich hätte verkriechen können. Dem Blickfeld des Professors entziehend, schlich ich mich so langsam zum Balkon hinaus, wo ich aber weiterhin gut mithören konnte, worüber die Beiden miteinander plauderten.

Van Dusen:

Mr. Hatch hat sie hoffentlich inzwischen darüber in Kenntnis gesetzt, warum ich sie nochmal sprechen wollte. Es hat den Anschein, daß ein weiterer mysteriöser Vorfall mit ihrer Entführungsgeschichte in Verbindung gebracht werden kann, zumindestens partiell etwas damit zu tun hat. Daher interessiert mich der Umstand, warum sie, inbegriffen aller Angehörigen ihrer Familie, sich zu einer bestimmten Zeit nahe des Wenzelsplatz eingefunden hatten? Sie teilten mir vorhin mit, daß sie vorhatten, dort eine Person anzutreffen. Wie kam es zu dieser Verabredung und wer ist diese besagte Person gewesen?


Hr. Küster:

Wie es dazu kam? Mmh. Da muß ich ein paar Tage zurückgehen. Wann war das? Genau, letzten Mittwoch war es gewesen, als ich mich mit dem Herrn Martinic verabredet hatte. Ich war nämlich in der letzten Woche zu einem Kongress für Kaufleute hier in Prag unterwegs gewesen, um dort einige Handelsvertreter zu treffen, sowie diverse Geschäftsverbindungen zu knüpfen. Sie müssen wissen, daß ich mich im Speziellen für das Kaffeegeschäft und die Röstverfahren interessiere, um in Berlin meine zukünftige Existenz darauf aufbauen zu können. Vielleicht eröffne ich irgendwann einige Café-Filialen im Stadtzentrum. In der aufblühenden Reichshauptstadt scheint mir ein solcher Gedanke nicht verkehrt zu sein.


Van Dusen:

So, so. Sie sind zu einem Kongress für Kaufleute unterwegs gewesen. War dieser Herr Martinic ebenfalls bei dieser Gesellschaft vertreten?


Hr. Küster:

Das war er, und zwar in Vertretung für seinen Vater, der sich in der Zucker-Branche gut auskennt und mit Gewürzen handelt. Nebenbei gesagt, waren hier sehr viele Geschäftsleute aus Berlin mit von der Partie. Das liegt wohl auch daran, da in diesem Jahr das große Kaufhaus Wertheim eröffnet wurde. Der Drang nach Konsumgütern aller Art berauscht unsere Stadt in immer stärkerem Maße. Schon jetzt denkt man darüber nach, ein weiteres noch größeres Warenhaus 3) nach amerikanischem Muster zu realisieren. Und Tietz, ein weiteres großes Kaufhaus, erweitert seine Verkaufsfläche ebenfalls in diesem Jahr mit dem Bau eines neuen Gebäudes am Alexanderplatz. Hier brechen für uns Kaufleute goldene Zeiten an, das kann ich ihnen sagen.


Van Dusen:

Herr Küster, ihre Euphorie über die sich ankündigende Konjunktur in ihrer Millionenstadt in Ehren, aber beschränken sie sich bitte nur auf das Wesentliche, was ich von ihnen in Erfahrung zu bringen wünsche. Wie haben sie und Herr Martinic sich kennengelernt? Oder kannten sie sich schon vorher?


Hr. Küster:

Nein, nein. Wir haben uns erst in der Mittagspause beim Kongress kennengelernt, als er sich zu mir an den Tisch setzte. Wir kamen so ins Gespräch, wobei ich erzählte, daß ich meine Familie bei dieser Geschäftsreise mitgenommen hätte, sozusagen als nachosterliche Belohnung, und noch ein paar Tage Prag genießen wollte.


Van Dusen:

Aha, und da hat ihnen Herr Martinic wahrscheinlich das Angebot offeriert, ihre Familie an dem heutigen Sonntag durch die Stadt zu führen. Doch ließ er sich am verabredeten Ort nicht wie vereinbart blicken.


Hr. Küster:

Genau. Wir haben auf ihn gewartet, ja, und dann geschah diese fürchterliche Geschichte mit unserem Sohn. Aber kurz nachdem sie und Mr. Hatch uns verlassen hatten, traf er doch noch ein und entschuldigte sich für seine Verspätung, und daß es ihm leider nicht möglich sei, sich wie versprochen als Stadtkundiger anbieten zu können. Er müsse sofort wieder los, da er wieder seinen Vater irgendwo bei einer Gesellschaft zu vertreten hätte. Da mir eine Stadtbesichtigung ohnehin kein Spaß mehr gemacht hätte, nach diesem Schrecken, war ich ihm nicht allzu böse gewesen. Tja, und jetzt sind wir dabei, unsere Sachen für die Rückfahrt nach Berlin zu packen.


Van Dusen:

Dann wünsche ich ihnen und ihrer Familie noch eine gute Heimfahrt. Aber bevor wir uns verabschieden, noch eine letzte Frage. Können sie mir den Herrn Martinic vom Aussehen her beschreiben? Haare, Alter, Größe?


Hr. Küster:

Ja, schwarze Haare, leicht gelockt. Die Größe, die Größe? Vielleicht einen Meter siebzig. Allzu alt war er nicht, höchstens mitte zwanzig. Und wenn ihnen das weiterhilft, eine senkrecht verlaufende Narbe über der linken Augenbraue hat er gehabt.


Van Dusen:

Sehr gut. Das dürfte ausreichen, Herr Küster. Ich bedanke mich für das sehr aufschlußreiche Gespräch. - Hatch! Bringen sie doch Hr. Küster noch bis an die Tür.


Hatch als Erzähler:

Um der Höflichkeit genüge zu tun, begleitete ich Hr. Küster bis zur Tür, um mich dann ebenfalls von ihm zu verabschieden. Aber da platzte schon der Nächste bei der offenstehenden Tür herein. Ein kleiner buckliger Mann, bekleidet mit einem ziemlich aus der Mode gekommenen beigen Regenmantel und mit einer übelriechenden Zigarre im Mundwinkel. Er schaute kurz in das Zimmer, entdeckte den Professor, und lief dann geradewegs auf ihn los.


Hatch:

Hey, hey! Nicht so schnell, Freundchen!


Hr. Palach: [mit knarriger Stimme]

Sie sind der Professor? Professor van Dusen?


Van Dusen: [verwundert; mustert den leicht schmuddelig aussehenden Mann]

Ja? - Was wünschen sie?


Hr. Palach:

Ich bestelle schöne Grüße vom Innenministerium, Herr Professor. Mein Name ist Palach. Ich bin Kriminalbeamter des Polizeikommissariat dieses Distriktes, komme aber heute als Sonderbeauftragter, um Ihnen die Nachricht zu übergeben, daß Sie mit der vollen Unterstützung rechnen können, die Sie bei der Untersuchung des aktuell vorliegenden Falles benötigen. Des weiteren wurden mir noch einige Informationen durch einen gewissen Herrn von Klausen telefonisch übermittelt.


Van Dusen:

Informationen? Welche Informationen sind mir im Vorwege zugedacht worden, Herr Palach? Teilen sie sich mit, aber bitte unverzüglich.


Hr. Palach: [kramt aus seiner rechten Manteltasche einen zusammengefalteten Zettel heraus]

Warten sie einen Moment, ich habe mir dazu ein paar Randnotizen gemacht, damit ich nichts vergesse. [faltet den Zettel auseinander] So, im Groben und Ganzen wurden mir Angaben zu zwei Personen auf den Weg mitgegeben. Mal sehen, ob ich den Namen noch entziffern kann? Müßte Tsukagoshi heißen, das ist die eine Person und ...


Van Dusen:

...und ein Herr Pasternak. Das ist uns allen schon bekannt. Wo bleiben die Details, wenn ich bitten darf.


Hr. Palach:

Wenn sie gestatten, lese ich ihnen alle meine Notizen bei der Fahrt zum Wenzelsplatz Punkt für Punkt vor. Ich habe eine Droschke vor dem Hotel stehen, die startbereit auf uns wartet. [da Palach keinen Aschenbecher zur Hand hat, läßt er die Asche seiner Zigarre in die linke Manteltasche tropfen]


Van Dusen:

Dann wohlan, meine Herren! Worauf warten sie noch? Die Kriminologie ruft. Und Hatch, vergessen sie nicht mein Miniaturlabor mitzunehmen.


Hatch:

Ihre schwarze Tasche? Wo haben sie die denn versteckt, Professor?


Van Dusen:

Natürlich dort, wo ich sie im allgemeinen immer abzustellen gedenke. Neben dem Bett, direkt am Nachtschränkchen. Soweit sollten sie mich doch mittlerweile kennen, Hatch.


Hatch als Erzähler:

Natürlich wußte ich, wo der Professor sein chemo-physikalisches Miniaturlaboratorium aufbewahrte. Ich wollte den großen Gelehrten nur ein erneutes mal zu verstehen geben, daß ich nicht gerade Lust verspürte, dauernd den Lastesel für ihn zu spielen. Aber bei der Denkmaschine hilft kein Jammern und kein Zetern. Als Assistent und Begleiter waren Dienste dieser Art unumstössliche Selbstverständlichkeiten, die ich in Kauf zu nehmen hatte, und an die ich mich auch weitestgehend schon gewöhnt habe. - Mit der Tasche in der Hand folgte ich den beiden Vorauseilenden, die sogleich die bereitstehende Droschke bestiegen. Im zügigen Tempo ging es dann zum Tatort. Hier nutzte der Kriminalbeamte Palach die Zeit, den Professor mit weiteren Details zu instruieren.



Hr. Palach: [liest mit der Zigarre im Mundwinkel seine Notizen vom Zettel ab]

Also, heute früh um halb 8 Uhr 30 gab es ein Treffen zwischen dem Herrn Sergej Pasternak, ein aus dem Kaukasus stammenden Agenten, der viele Jahre unter dem Regiment des Admiral Makarow gedient hatte und jetzt als Informant für den Innenminister Plewe tätig ist. Dieser Herr ist mit einer Geldkassette angereist, in welcher sich Gold- und Silbermünzen im Werte von 300.000 Kronen befanden. Außerdem stellte er eine zusätzliche Summe von 100.000 Kronen in einer Aktentasche bereit, gefüllt mit Geldscheinen unserer Währung, die in die Stadtkasse Prags geflossen wären, wenn die Vermittlungen des Herrn von Klausen den erwünschten Erfolg gehabt hätten. [hustet Zigarrenqualm vor sich hin] – Entschuldigung.- Der andere Mann, ein Japaner mit dem Namen Keisuke Tsukagoshi, ebenfalls eine ranghohe Person des Militärs, welcher bis vor zwei Monaten noch unter dem Kommando von Admiral Togo stand, dann aber wegen persönlicher Verfehlungen unehrenhaft aus den Diensten enthoben wurde ...


Hatch: [unterbricht Palach]

Moment mal. Unehrenhaft aus dem Dienst entlassen bedeutet doch bei den Japanern soviel wie, sich selber dem Messer auszuliefern. - Harakiri, oder wie das heißt.


Van Dusen:

Hatch! Unterbrechen sie doch nicht. Es wird schon einen Grund geben, warum die in Japan so übliche Wahl des Suizids von diesem Herrn Tsukagoshi nicht in Erwägung gezogen wurde. Fahren sie fort, Herr Palach.


Hr. Palach: [hustet wieder]

Entschuldigung.- Ziel des Treffens sollte sein, daß der japanische Herr wichtige Informationen über die Kriegstaktiken und Strategien des Admiral Togo an den russischen Kriegsgegner, also Herr Pasternak, weitergeben sollte. Alles schien soweit gut zu verlaufen, die Gesprächspartner beider Seiten waren sich einig, daß Herr Pasternak die Informationen mit nachhause nehmen sollte und Herr

Tsukagoshi im Gegenzug die Geldkassette bekommen würde. Doch es kam zu einem Überfall, bei dem alle Anwesenden außer Gefecht gesetzt worden sind und sowohl Geldkassette als auch die Geldtasche mitgenommen wurden. - So, mit mehr Informationen kann ich ihnen leider nicht dienen. Das war alles, was ich in der kurzen Zeit notieren konnte.


Van Dusen:

Nun gut. Das ist zumindestens ein Anfang. Im weiteren ziehe ich es vor, die restlichen Fakten aus allererster Hand entgegenzunehmen.


Hr. Palach: [steckt seinen Zettel wieder ein]

Dann wünsche ich ihnen bei der Untersuchung des Falles viel Erfolg. Ich komme noch bis zum Wenzelsplatz mit und werde mich dann verabschieden.


Van Dusen:

Wollen sie damit zu verstehen geben, daß sie gar nicht in der Eigenschaft eines Polizisten vorgesprochen haben?


Hr. Palach:

Das ist zutreffend, Herr Professor. Sie müssen mich rein als Privatperson sehen, die kurzfristig für eine heikle Sache eingesprungen ist, damit sie schnellstens benachrichtigt werden. Für mich ist jetzt wieder ein völlig normaler Sonntag, und den werde ich dazu nutzen, um mit meiner Frau einen Ausflug zu Bekannten zu unternehmen. Ich werde mich hüten, in dem vorliegenden Fall tätig zu werden. Das ist nichts für mich. Ich kümmere mich lieber um die kleinen Gangster und Verbrecher des Alltags. Auf ausdrücklichen Wunsch des Ministeriums sollen sie, Herr Professor Van Dusen, die alleinige Kompetenz bei der weiteren Untersuchung zugesprochen bekommen. Die Polizei hält sich raus.


Van Dusen:

Bemerkenswert, daß sich sogar die Herren von der Kriminalpolizei aus dieser Sache heraushalten und vorzugsweise in eine neutrale Nische flüchten. Aber auf die professionell bediensteten Kriminalisten konnte ein Professor Van Dusen bisher gut verzichten. Und so wird es auch diesmal sein, nicht wahr, Hatch?


Hatch:

Daran besteht absolut kein Zweifel, Professor.


Van Dusen:

Ach Hatch, da wir noch einige Minuten benötigen bis wir das Ziel erreicht haben. Es gibt da noch eine wichtige Information, die sie mir schuldig sind.


Hatch: [überrascht]

Was? Wie? - Ich verstehe nicht, was sie von mir wissen wollen?


Van Dusen:

Ihre Beschreibung der jungen Dame, von der sie so gefesselt waren, und welche urplötzlich, nachdem der entführte Junge in ihre Obhut übergeben wurde, wie vom Erdboden verschluckt gewesen ist.


Hatch:

Ah, ja. - Aber, warum interessiert sie das so?


Van Dusen:

Stellen sie keine überflüssigen Fragen, Hatch. Ich habe meine Gründe.


Hatch: [überlegt einen Moment]

Nun gut. Meiner Beurteilung nach ist sie eine sehr junge Frau, anfang zwanzig, äußerlich sehr adrett gekleidet und vom Wesen her eine ebenso attraktive Person, eine wahre Augenweide. [Hatch kommt ins schwärmen]


Van Dusen:

Beschränken sie sich doch auf die Fakten und Details, Hatch, und nicht auf ihre unmaßgeblichen subjektiven Eindrücke.


Hatch:

Ja, ja. - Also, sie hatte dunkelbraune Augen und dazu genauso dunkelbraun gelocktes Haar, das teilweise durch einen der Jahreszeit angemessenen Frühlingshut abgedeckt war. Dann einen sehr hohen Stehkragen aus Spitze, dazu einen glockig fallenden Rock, welcher modisch eher der schlichten Linie entsprach. Farblich beschränkte sich die Kleidung auf überwiegend helle Töne, so in Richtung apricot. Von der Figur her ist sie schmall tailliert gewesen, die Größe entsprach in etwa meiner, und sie hatte weiße Damenhandschuhe getragen. So, mehr kann ich aus der kurzen Begegnung nicht wiedergeben.


Van Dusen:

Ausgezeichnet, mein lieber Hatch. Eine außerordentlich gute Beschreibung. Daß sie über eine solche bemerkenswerte Beobachtungsgabe verfügen, ist mir neu, und beschränkt sich allem Anschein nach nur auf die Wahrnehmung von Personen weiblichen Geschlechts. - Wie verhält es sich mit äußerlichen Merkmalen, z.B. dem Gesicht. Ist ihnen hierzu vielleicht etwas aufgefallen? Schiefe Nase, breite Wangenknochen, Grübchen ...


Hatch:

Moment, Grübchen! Wo sie das sagen, Professor. Zwei faszinierende und hübsch anzusehende Grübchen, wenn sie lächelte. Wie konnte mir das nur entfallen?


Van Dusen:

Vielleicht gibt es noch weitere versteckte Informationen, die in ihrem Unterbewußtsein schlummern? Da es sich, ihrer Beschreibung nach, um eine sehr vornehm gekleidete Dame handelte, könnte es da nicht sein, daß ihr ein teurer Parfümduft anhaftete? Versuchen sie einmal, sich an Zeit und Ort zurückzuversetzen. Denken sie einen Moment darüber nach, ob ihnen bei der kurzen Begegnung ein angenehmes Odeur aufgefallen ist?


Hatch: [Hatch holt tief Luft, als ob er einen wohlriechenden Duft aufsaugen wollte]

Richtig.- Ein sehr angenehmer Duft. Hatte einen Hauch von Vanille. An mehr kann ich mich nicht erinnern.


Van Dusen:

Ich bin sehr zufrieden mit ihnen. Eine durchaus gelungene Beschreibung, welche mir die Möglichkeit eröffnet, jene unbekannte junge Dame zu erkennen, sobald sie mir über den Weg laufen sollte.


Hatch:

Aber, was wollen sie von dieser Dame, Professor?


Van Dusen:

Später, Hatch, später! - [ruft zum Droschkenführer] Hallo, Fahrer! Bleiben sie doch für eine kurze Zeit stehen, am besten dort vorne bei der Melantrichgasse [der Fahrer hält an der nächsten Straßenecke an]


Hatch:
Wollen sie denn hier schon aussteigen, Professor?


Hr. Palach:

Das frage ich mich auch. Es ist noch ein kleines Stück bis zum Wenzelsplatz, Herr Professor. Und die Herren dort warten schon auf sie.


Van Dusen:

Hatch, sie vergessen den jungen Egon. Ich bin in wenigen Minuten wieder hier.


Hatch als Erzähler:

Es erstaunte mich, daß der Professor diesmal nicht meine Person dafür einspannte, um Egon abzuholen. Aber ich hatte das vage Gefühl, daß er mir gewisse Details, die wohl den Fall betrafen, vorenthalten wollte. Nach etwa zwei Minuten war er mit Egon im Gefolge wieder bei der Droschke angelangt und die Fahrt konnte weitergehen. Nur eine kurze Zeitspanne später fuhren wir am Wenzelsplatz vor und trafen dort auf die drei Herren, welche noch am Vormittag Opfer eines Überfalls geworden sind. Herr Palach verabschiedete sich von uns, und der junge Egon beeilte sich sogleich, ohne irgendeinen weiteren Kommentar abzugeben, in der Menschenmenge des Platzes abzutauchen.

von Klausen:

Ah, Herr Professor Van Dusen, da sind sie ja. - Ein Mann, ein Wort. - Wie ich es ihnen versprochen habe, bin ich beim Innenminister gewesen, um mir eine Sondererlaubnis bzgl. ihrer Person einzuholen. Sie dürfen den Fall übernehmen.


Van Dusen:

Dann sollten wir uns unverzüglich an den Ort des Geschehens begeben und den Räumlichkeiten ihres geheimen Treffens einen Besuch abstatten. Schreiten wir zur Tat, meine Herren.


von Klausen:

Soll Mr. Hatch hier draußen warten?


Hatch: [empört]

Soweit kommt es noch! Kommt gar nicht in Frage!


Van Dusen:

Selbstverständlich wird Mr. Hatch bei meiner Untersuchung zugegen sein. Als jahrelanger Assistent ist er für meine Person von unverzichtbarem Wert geworden, und somit wie ein utensilia cogitationis von bedeutend inspirierender Wirkung. Ich muß darauf bestehen.


von Klausen: [zieht die Schultern hoch]

Gut, dann werde ich mal aufsperren. [schließt das Tor am Portal auf] Nach ihnen, Herr Professor. Kommen sie, Mr. Hatch, treten sie ein.


Van Dusen: [schaut sich sofort im Innern des Gebäudes um]

Ah. Ein Vestibül, welches wahrscheinlich dafür genutzt wird, um bei entsprechenden Anlässen als Empfangshalle zu dienen. An der linken und rechten Hallenseite jeweils eine Tür, von denen eine sicherlich zu den angrenzenden Räumen führen wird, die sie, meine Herren, für ihre Zwecke in Anspruch genommen haben.


von Klausen:

Genau so ist es. Bitte wenden sich zur linken Seite. Die Tür müßte noch von heute früh offen sein.


Van Dusen:

Was ist mit der anderen Tür, Herr von Klausen? Ist sie verschlossen?


von Klausen:

Ja, sie ist verschlossen und war es auch gewesen, falls sich ihre Frage auf unsere heutigen Versammlung beziehen sollte. Die Türen sind eigentlich immer abgeschlossen, sofern niemand irgendwelche Besprechungen dort abhält. Aber ab und an kommt es sogar vor, daß die Türen von innen wieder abgeriegelt werden, wenn man absolut ungestört bleiben möchte. Sie verstehen?


Van Dusen: [nickt kurz und marschiert zur Tür]

Beginnen wir mit der Inspektion der Räume. [öffnet die Tür] – Ein weiterer Vorraum, aber bei weitem nicht von der Größe wie die Empfangshalle. Er bietet gerade genug Platz für einen Garderobenschrank, einen Tisch und zwei Stühle. Abgesehen davon, sind als Wandverzierungen noch zwei nicht gerade von hoher Qualität zeugende Ölgemälde zu entdecken. Alles im allem ein sehr nüchtern wirkender Raum, der sonst nur noch über eine Schiebetür verfügt, die ... aah, ja, wie es zu erwarten war, ...die den direkten Zugang zu einem Konferenzzimmer darstellt.[tritt in den anliegenden Raum] Beginnen wir mit der Rekonstruktion des Tatherganges. Meine Herren, ich würde sie bitten, genau die Plätze einzunehmen, die sie bei dem Überfall zuletzt besetzt hatten.

S. Pasternak:

Was soll dieserr Unsinn. Sollen wirr das Ganze wiederr nachspielen? So ettwas idiotisches!


K. Tsukagoshi:

Das sieht ihnen ähnlich. Nicht die geringste Spur der Kooperation kann man von ihnen erwarten. Aber es ist ja ihre Geldkassette, die verschwunden ist. Mich würde wirklich sehr interessieren, ob man bei ihnen zuhause die Tatsache, daß ihnen ganze 400.000 Kronen abhanden gekommen sind, ebenfalls so leichtfertig ignorieren wird. Da könnte man schnell auf die Idee kommen, sie hätten das Geld unter Zuhilfenahme weiterer Bandenmitglieder selber unterschlagen und würden nun jegliche Anstalten zur Aufklärung dieses Diebstahl boykottieren. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, wenn sie in ihre so angenehme russische Heimat zurückkehren


S. Pasternak: [Pasternak stehen die ersten Schweißperlen auf der Stirn]

Sei bloß ruhigg, du vaterlandsloserr Zwerrg. Ich hahbe keinen Grrund, mich so feige in ein anderres Land zu flüchten, wie so´n japanisches Würrmchen. [schaut abfällig auf den Japaner herab]


von Klausen:

Herr Pasternak, auch wenn ihnen die Situation mehr als lästig ist, so bedenken sie auch, daß damit ihnen, und vor allem ihnen geholfen ist, wenn sie die Bemühungen des Herrn Professor Van Dusen im vollen Umfang unterstützen.


S. Pasternak:

Na gut, ich mache den Zirrkus mit. So ich sitze. Wie geht es weiterr?


Hatch als Erzähler:

Weitergehen sollte es mit einer Befragung Van Dusens, welcher mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt und in aller Seelenruhe Runde für Runde den großen ovalen Eichentisch abschritt, der in der Mitte des Raumes stand. Hierzu stellte er einige Fragen, die zusammengefasst folgendes ergaben: Die Zusammenkunft der drei Herren hatte pünktlich um 8 Uhr 30 morgens begonnen. Draußen vor dem Portal wurden zur Sicherung die zwei Wachposten Pepr und Brambory abgestellt. Drinnen befanden sich neben den Herren selbst eine schwarze Aktentasche mit 100.000 Kronen in Geldscheinen und die besagte Geldkassette, die mit Gold- und Silbermünzen gefüllt war, und einen Wert von umgerechnet 300.000 Kronen umfasste. Herr von Klausen leitete das Gespräch und war auch derjenige, welcher sämtliche Präliminarien beim Zustandekommen des Treffens leistete. Man war sich bald einig, daß der Japaner wichtige Kriegsinformationen liefern sollte und ihm im Gegenzug jene Geldkassette versprochen wurde. Die Aktentasche sollte als eine Art Aufwandsentschädigung gelten, die Herr von Klausen entgegennehmen und schließlich in die Finanzkasse der Stadt fließen lassen sollte. Beide Parteien waren soweit bereit und es sollte der Akt des Informationsaustausches erfolgen. Doch es kam nicht dazu, denn gegen 9 Uhr 35, so die ungefähren Aussagen aller Beteiligter, stürmten zwei Herren in den Konferenzraum und ...


von Klausen: [berichtet über den Überfall]

... und näherten sich unserem Tisch. Sie trugen ganz abscheuliche Masken, richtig zum Fürchten.


K. Tsukagoshi:

Da kann ich Herrn von Klausen nur zustimmen. Diese großen Augen und dieser häßliche Aufsatz mitten im Gesicht. Das muß so etwas wie eine Atemmaske gewesen sein, die Beide aufgesetzt hatten. Der eine Täter war ganz in Schwarz gekleidet, der andere dagegen war wie ein Polizist gekleidet. Daher dachten wir anfangs, es wäre einer der Wachposten gewesen. Doch später haben wir erfahren, daß der Beamte Pepr ja betäubt worden ist und der Polizist Brambory durch einen Entführungsfall, der sich mitten auf dem Wenzelsplatz abgespielt hatte, abgezogen wurde.


Van Dusen:

Und ich gehe doch Recht in der Annahme, daß die Masken ihren Sinn nicht verfehlen sollten, da die zwei unvorhergesehenen Eindringlinge mittels zweier Sprühbehälter, Geräte wie sie beispielsweise zur Bekämpfung bei Pflanzenschädlingen zum Einsatz kommen, eine Flüssigkeit in den Raum verteilten, die auf der Haut sehr schmerzhaft brannte. Ab diesem Zeitpunkt sollte es für sie nur noch sehr schwer gewesen sein, den weiteren Ablauf der Tat zu beobachten, da jene im Raum angereicherte Substanz ihre Augen beträchtlich gereizt haben muß.


K. Tsukagoshi:

Woher wissen sie? Hat Herr von Klausen sie etwa schon darüber informiert?


von Klausen:

Nicht, daß ich wüßte. Dem Herrn Palach habe davon auch noch nichts mitgeteilt.


Van Dusen:

Das ist auch nicht nötig gewesen. Ein Professor Van Dusen hat seine Methoden, wie er einen neuen Fall angeht. Der Rest besteht in der simplen Anwendung von Logik, Analyse und Deduktion, meine Herren. Konzentrieren wir uns wieder auf den Zeitpunkt, als sie zum Opfer des überaus unangenehmen Angriffes wurden. Da sie in den folgenden Minuten kaum in der Lage gewesen sein sollten, ihre Augen offen zu halten, so sollte es ihnen durchaus möglich gewesen sein, etwas von dem Vorfall zu hören. Können sie mir vielleicht schildern, was ihnen in der restlichen Zeit noch alles ans Ohr gedrungen ist?


S. Pasternak:

Herrumgebrrüllt habben sie. Habben sich geggenseitig Kommandos zugeschrrien und uns dauerrnd darran errinnert, daß wirr ganz ruuhig am Fußboden bleiben sollen.


Van Dusen:

Wurde denn die ganze Zeit lang in dem lautstarken Ton miteinander geredet?


K. Tsukagoshi:

Eigentlich erst, nachdem wir uns vor Schmerzen auf dem Boden krümmten. Vorher wurde kein Sterbenswörtchen geredet.


Van Dusen:

Das ist interessant. - Nun, wann war denn ihrer Meinung nach der ganze Spuk vorbei gewesen?


von Klausen:

Irgendwann, so etwa nach vier bis fünf Minuten wurde es plötzlich ruhig. Dann lagen wir vielleicht noch weitere zwei Minuten am Boden, bis sich das ganze scharfe Zeug gelegt hatte und wir einigermaßen wieder sehen konnten. Und da hörten wir auch schon das monotone Klopfen von Mr. Hatch.


Van Dusen:

Und als sie an die Tür der Empfangshalle gelangten, entdeckten sie dort den bewußtlosen Herrn Pepr.


von Klausen:

Richtig. Somit wären sie, Herr Professor, nun auf dem gleichen Kenntnisstand wie wir alle auch. - Und? Glauben sie, daß sie bei diesem Problem vorankommen oder etwas ausrichten können? Meiner Meinung nach ist das Geld futsch. Zum Leidwesen von Herrn Pasternak, aber auch zu meinem Leidwesen. Denn die für unsere Stadt angedachten 100.000 Kronen sind nicht gerade zu verachten.

Van Dusen:

Jedes Problem kann gelöst werden, Herr von Klausen. Auch dieses! Es bedarf lediglich weiterer Hinweise und Spuren, die es nun gilt ausfindig zu machen, um sie in einem logischen Konzept einzubinden. Sehen wir doch einmal, was mir dieser Konferenzraum an wichtigen Details liefern kann.


Hatch als Erzähler:

Hier kommen wir erneut an einen Punkt der Geschichte, bei dem der Professor scheinbar geistesabwesend und leise vor sich hinmurmelnd nach Spuren Ausschau hielt, dabei gelegentlich stumm verharrte und stehenblieb, um dann erneut sein Interesse diesem oder jenem Gegenstand zu widmen. Was den Konferenzraum betraf, so war dieser schlicht und mit dem nötigsten Mobiliar ausgestattet. Kurzum, der Raum besaß eine für Besprechungen im Allgmeinen und für gewisse inoffizielle Treffen im Besonderen völlig adäquate Einrichtung. Diese bestand aus einem riesigen Smyrnateppich, dem schon angesprochenen Eichentisch um dem sich zehn Stühle reihten, einem separat stehenden Schreibtisch mit den dazugehörigen Utensilien, und einem mannsgroßen Sekretär, in dem sich Bögen von Papier und eine Vielzahl von Formularen befanden. Des weiteren gab es noch einen kleinen Beistelltisch auf dem mehrere Kristallgläser aller Art angeordnet waren, und welcher eine kleine Auswahl an alkoholischen Getränke bot, die in gefüllten Karaffen bereitstanden. Zu guter Letzt gesellte sich rechts neben der kleinen Hausbar noch ein Phonograph mit diversen Walzen und einer elektrischen Batterie, die das Gerät versorgen sollte.


Van Dusen: [läuft den Raum ab und bleibt plötzlich am Tisch stehen]

Mmh, meine Herren, sitzen sie jetzt wirklich exakt auf den Plätzen, die sie zu dem Zeitpunkt eingenommen hatten, als der Überfall sich ereignete?


K. Tsukagoshi:

Ja, das müßten unsere Plätze gewesen sein.


von Klausen:

Absolut. Genau in dieser Anordnung haben wir zueinander gesessen.


Van Dusen:

Aha, da haben wir auch schon etwas, das einer näheren Betrachtung wert scheint. Hatch, bringen sie mir doch bitte mein Miniaturlabor. [Hatch reicht dem Professor die Tasche] - Danke – Sehen sie hier auf dem Teppich, welcher sich unterhalb des schweren Eichentisch zu beiden Seiten erstreckt, und auf denen sich die Stuhlreihen befinden. [öffnet seine kleine schwarze Tasche und holt ein kleines Fläschchen heraus]


von Klausen:

Was gibt es denn da unten zu sehen?


Van Dusen:

Ein kleines Stückchen Glas, zweifelsohne ein zurückgebliebenes Bruchstück, wie die abgesplitterten Kanten deutlich zu erkennen geben. Ich werde jenes nicht einmal erbsengroße Bruchstück erstmal in meiner kleinen Flasche aufbewahren. Sehen wir weiter, was uns der Boden der Tatsachen noch so bieten kann. [Van Dusen kriecht unter dem Tisch entlang] Mmh, wie es scheint keine weiteren Spuren mehr zu entdecken, zumindestens was von der Oberfläche her in Augenschein genommen werden kann. - Halt! Was ist das? Eine eben kaum zu bemerkende schwache Erhebung am Rande des Teppichs. Was mag sich wohl dort verbergen? [klappt den Teppich zurück] Ah, äußerst interessant. Ein zusammengerolltes Stück Kupferdraht, schätzungsweise 5 m lang und mit einem Durchmesser von 0,5 mm. Was hat dieses Drahtknäuel hier nur verloren? - Nun gut, verlagern wir die weitere Untersuchung auf die nächsthöhere Ebene, ich meine damit den Bereich der Tischplatte. Hier haben wir unübersehbar überall kleinste Tröpfchen von der unbekannten Substanz auf der Tischoberfläche verteilt, die dort mittlerweile angetrocknet ist. Insgesamt erscheint mir die ganze Tischplatte übermäßig mit Staubpartikeln belegt zu sein. Etwas eigenartig, wenn man bedenkt, daß sie vor ein paar Stunden hier am Tisch gesessen haben.


von Klausen:

Es ist Frühling, Herr Professor. Zur Zeit dringen von draußen überall Blütenpollen durch die Fenster in das Innere der Gebäude ein. Das wird wohl die Erklärung sein.


Van Dusen:

Aber nur eine Erklärung für das verstärkte Vorhandensein von Pollenkörnern. Ob es sich wirklich um einen Niederschlag von Pollen handelt, wird sich herausstellen. In diesem Fall werde ich ein Stück Zellstoff meinem Miniaturlabor entnehmen, dieses mit etwas Ethylalkohol anreichern, und die Tischplatte von den Resten der Substanz befreien. [Van Dusen putzt die Tischplatte ab]


Hatch:

Das ich das nochmal erleben darf. Ein Van Dusen mit der höchstseltenen Aufgabe betraut, seine Dienstbarkeiten als Putzhilfe anzubieten.


Van Dusen: [sieht Hatch strafend an]

Hatch! - Reden sie nicht dummes Zeug! Machen sie sich vielmehr nützlich. Holen sie mir ein Reagenzglas samt Stopfen aus der Tasche, aber umgehend, wenn ich bitten darf. [Hatch bringt dem Professor das Reagenzglas]


Hatch:

Bitte schön. Kann ich sonst noch mit etwas dienen?


Van Dusen: [ignoriert Hatch]

So, ich rolle das Stückchen Zellstoff zusammen und schiebe es in das Reagenzglas. Das sollte genügen, eine ausreichend angelegte Analyse durchführen zu können, um definitiv Klarheit darüber zu schaffen, was für eine Substanz hier zum Einsatz gekommen ist. - Mmh, welche weiteren Auffälligkeiten zeigt dieser Raum noch? - Da wären die beiden verschlossenen Fenster. Eines dieser Fenster führt zur linken Seite des Gebäudes, das andere dagegen nach hinten hinaus. Mmh, beide Fensterbänke befinden sich aber auf einer Höhe, die es mir gerade eben noch erlaubt, nach draußen schauen zu können. [steht auf Zehenspitzen am Fenster und schaut hinaus]


S. Pasternak:

Was interressierren sie die Fenster? Die habben mit Überrfall garr nichts zu tun. Genauso wie ihrre vielen Spurren, die sie einsammeln. Ist doch nurr alles Zeitverrschwendung und Blablabla.


Van Dusen: [mit ernster Mine]

Wie und auf welche Weise ich eine Untersuchung zu führen gedenke, überlassen sie bitte mir, Herr Pasternak. Wenn sie sich doch nur langweilen, ich kann gut auf ihre Anwesenheit verzichten. [Van Dusen zeigt mit dem Finger zur Tür] - Dort ist die Tür! - [dreht sich dann zu dem Beistelltischchen um und sieht sich dort um]



S. Pasternak:

So eine Frrechheit. Was erlaubben sie sich? Sie, sie, ...


von Klausen:

Genug, Herr Pasternak! Wahren sie die Contenance, bitte. Ein bißchen frische Luft könnte ihnen gut bekommen. Los, ich begleite sie mit nach draußen. [von Klausen und Pasternak verlassen den Raum]


K. Tsukagoshi:

Wie es sage, ein Grobklotz vor dem Herrn. Ohne Sitte und Anstand.


Hatch:

Das können sie laut sagen. - Sagen sie mal, Professor, was fummeln sie denn da am Phonographen herum?


Van Dusen: [steht direkt vorm Phonographen und durchkramt die Walzen in geheimnisvoller Weise]

Ach, nicht der Rede wert. Ich sehe mir gerade die Auswahl diverser Walzen an. Dabei hat es mir vor allem diese besondere Aufnahme von Antonin Dvorak 4) angetan, und zwar die Nummer 8 in g-moll der „Slawischen Tänze“, wie das Etikett der Walze ausweist.


Hatch:

Seit wann gelüstet es ihnen nach musikalischer Unterhaltung, und dann auch noch inmitten einer kriminologischen Untersuchung?


Van Dusen:

Musik, mein lieber Hatch, ist eine durch geeignete Instrumente geschaffene Wiedergabe von akustischen Rhythmen sowie harmonischer Schwingungscharakteristiken, die sich nach den strengen Regeln der Mathematik verhalten. In Parenthese zugefügt, wurden in den letzten Jahren neuere Formulierungen zu den harmonischen Beziehungen durch Hugo Riemanns Funktionstheorie 5) aufgestellt und verfestigt. Zudem begründet sich die Lehre von der Harmonie auf einem exakt wissenschaftlichen Fundament und ist somit für mich ohne Frage von großem Interesse.


Hatch: [mit skeptischen Blick]

Ja, wenn man das aus diesem Blickwinkel hört, ääh, ich meine sieht, dann muß ich ihnen wohl zustimmen.


Van Dusen: [richtet sein Wort an den Japaner]

Da wir gerade unter uns sind, Herr Tsukagoshi. Ich und mein Freund Mr. Hatch stellen uns natürlich die Frage, warum sie sich auf diesen Handel eingelassen haben. Für einen einst militärisch hochdekorierten Mann ihres Formats, welcher mit Sicherheit höchste Opferbereitschaft seinem Vaterland gegenüber gezeigt hätte, kommt der plötzliche Entschluß, sich in verräterischer Art und Weise dem Feind anzuvertrauen, äußerst befremdlich vor. - Wenn sie nicht darauf antworten möchten, dann werde das schweigend zur Kenntnis nehmen. Aber die Beweggründe würden mich doch interessieren.


K. Tsukagoshi:

Hochgeschätzter Herr Professor Van Dusen, es gibt bisher niemanden, dem ich meine Motive dargelegt habe, und es ist mir auch sehr unangenehm davon zu berichten, da sie sehr privater Natur sind. [überlegt einen Moment] - In ihrem Fall möchte aber eine Ausnahme machen und mich ihnen anvertrauen. Aber nicht an diesem Ort und nicht zu dieser Stunde. Treffen wir uns heute Abend um 21 Uhr am Pulverturm. Dort werde ich ihnen die Geschichte erzählen.


Van Dusen:

Und Mr. Hatch? Ich verbürge mich für ihn, daß er über alle Details ihres Privatlebens Stillschweigen bewahrt.


K. Tsukagoshi:

Nein, bitte nur sie, Herr Professor. Es geht mir weniger um die Geheimhaltung meiner Geschichte. Von mir aus kann auch Mr. Hatch oder jeder andere von der Geschichte hören, aber ich habe die Befürchtung, daß ich mich nur unter vier Augen jemand öffnen kann.


Van Dusen:

Einverstanden. Ich werde zu erwähnter Stunde zur Stelle sein. [von Klausen betritt wieder den Raum]


von Klausen:

Und sind sie weitergekommen, Herr Professor?


Van Dusen:

Mit allen hier vorhandenen Anhaltspunkten, die mir bislang unter die Augen gekommen sind, bin ich zunächst sehr zufrieden. Es bedarf natürlich einer nachfolgenden zerebralen Phase der Analyse sowie der deduktiven Synthese, um den gesamten Ablauf der Tat zu rekonstruieren. Zur Ergründung der kausalen Zusammenhänge, die hinter dem Überfall stecken, benötige ich zugegebenerweise noch die eine oder andere Information. Dazu sollte mir der heutige Abend bzw. der morgige Vormittag genug an Möglichkeiten liefern, um ihnen, Hr. Klausen, einen abschließenden Bericht anbieten zu können.


von Klausen:

Eine sehr mutige Aussage, Herr Professor. Ich bin äußerst gespannt, wie weit sie mit ihrem Latein kommen werden.


Van Dusen:

Am Rande möchte ich sie noch auf etwas aufmerksam machen, Herr von Klausen. Sie sollten bei diesem edlen Stück von Phonograhpen eine Reparatur durchführen lassen, da sich bei einem der beiden Kabel, die zum Gerät führen, der Kontakt abgelöst hat. Oder um es korrekter auszudrücken, das Kabel durch eine unsachgemäße Behandlung aus der Kontaktdose des Elektromotors gerissen worden ist. Es wäre doch schade, wenn kommenden konferierenden Gesellschaften dieser musikalische Kunstgenuß vorenthalten bliebe.


von Klausen:

Ist er schon wieder defekt? Herrje, diese moderne Technik ist aber empfindlich. Ich werde mich darum kümmern und einem Techniker Bescheid geben.


Van Dusen: [bewegt sich zu einer weiteren Tür]

Was befindet sich hinter dieser Tür?


von Klausen:

Dort? Nicht der Rede wert. Da befindet sich ein Waschraum, eine Toilette. - Auch den zähesten Verhandlungspartnern bleibt es selten erspart, einen gelegentlichen Gang der Erleichterung in Anspruch zu nehmen.


Van Dusen:

Nicht der Rede wert? Das wird sich zeigen. [öffnet die Tür und besichtigt das WC]

Aha, wie der erste Blick sofort erkennen läßt, haben wir hier ein weiteres Fenster vorliegen, welches ... [geht zum Fenster, um es zu öffnen] ... ah, ja, welches nicht verschlossen ist, sondern nur angelehnt war.


von Klausen:

Der Frischluft zuliebe bleibt dieses Fenster auch meist geöffnet.


Hatch:

Ziemlich fahrlässig, Herr von Klausen. Am Gebäudeeingang geben sie den Anschein einer strengen Bewachung vor, während sie nach hinten heraus so offen sind, wie das sprichwörtliche Scheunentor. Aber in diesem Fall haben sich ihre Wachbeamten ohnehin nur wenig mit Ruhm bekleckert.


von Klausen:

Später ist man stets schlauer, Mr. Hatch.


Van Dusen:

Fokussieren wir unser Interesse wieder auf jenes Fenster, dessen Sims sich diesmal auf meiner Brusthöhe befindet und somit um ein entscheidendes Höhenniveau niedriger gelegen ist als die beiden zuvor besichtigten Fenster des Nebenraumes. Und mit absoluter Überzeugung komme ich nunmehr zu der Feststellung, daß die entführte Geldkassette an der Bodenplatte mit vier Füßen ausgestattet war, womit auf eine Kassettenbreite von 50 bis 55 cm geschlossen werden kann. Sehr wahrscheinlich wird es sich dabei um gußeiserne Standbeine gehandelt haben. Ist das korrekt, Herr von Klausen?


von Klausen:

Stimmt. Die Geldkassette oder auch Truhe, wenn man so will, war circa einen halben Meter breit und hatte Gußstützen als Beine. Wie kommen sie darauf?


Van Dusen:

Die markanten Schleifspuren hier auf dem Fenstersims können nur von einem sehr schweren Gegenstand stammen, der über diesen Weg nach draußen befördert worden ist. Um die Kassette außerhalb vom Gebäude wieder in Empfang zu nehmen, hat man sie einfach vom Sims heruntergezogen, wobei unweigerlich metallische Kratzspuren zurückbleiben mussten. Damit wissen wir jetzt, auf welchen Wege das Geld das Gebäude verlassen hat.


K. Tsukagoshi:

Das ist ja sehr interessant. Ich wäre davon ausgegangen, daß die Täter auf den gleichen Weg geflüchtet wären, wie sie hereingekommen sind.


Van Dusen:

Vielleicht sollten sie genau das denken, Herr Tsukagoshi. Da sie durch die Spritzattacke außerstande waren, dem wahrhaftigen Tatverlauf ihre weitere visuelle Aufmerksamkeit zu schenken, war dieses ein naheliegender Gedanke gewesen.


von Klausen:

Jetzt wissen wir zwar, wie das Geld nach draußen gelangt ist, aber wie geht es nun weiter? Ich glaube kaum, daß sie über die paar Spuren, die man hier zurückgelassen hat, wieder das Geld zurückbeschaffen können.


Van Dusen:

Ein Versprechen vermag diesbezüglich niemand abgeben zu können, nicht einmal eine so kriminologisch bewanderte Persönlichkeit meines Ranges.


Hatch: [stutzt]

Kriminologisch bewandert? Tzzz... Da stapeln sie aber ziemlich tief, Professor. Weiß doch jeder, daß sie geradezu ein Marathonläufer auf diesem Gebiet sind. Seit Beginn unserer Weltreise lassen sie doch keinen Ort aus, um Verbrecher zu jagen oder knifflige Probleme zu lösen.


Van Dusen:

Ganz recht, ganz recht, Hatch. - Doch ist mittlerweile einfach zuviel Zeit verronnen, meine Herren, was sie sich selber zuzuschreiben haben. Ein Professor van Dusen läßt man nicht warten! - Insgesamt meine ich nun genug gesehen zu haben, um daraus ein konsistentes Bild des Überfalls ableiten zu können. Ich werde sie zu einem späteren Zeitpunkt wiedersehen, meine Herren. Kommen sie, Hatch!


Hatch:

Bin zur Stelle. [greift sich die schwarze Tasche des Professors] – So, es kann losgehen. Wohin geht der weitere Ausflug?


Van Dusen:

Dieses wird sich Schritt für Schritt ergeben, mein lieber Hatch. Lassen sie uns mit Egon beginnen. Inzwischen müßte er auch schon zurückgekehrt sein und voller Erwartung vor dem Gebäude stehen. Wie kann ich sie erreichen, Herr von Klausen?


von Klausen:

Warten sie, ich notiere ihnen eine Anschrift, wo sie mich antreffen oder aber auch telefonisch erreichen können. [reißt eine Seite aus seinem Notizbuch und überreicht sie Van Dusen]. - Bitte schön.


Van Dusen: [zu sich flüsternd]

Nun gut, beginnen wir die Jagd. [Van Dusen setzt seinen großen Hut auf und verläßt mit Hatch den Raum]


Hatch als Erzähler:

Bevor nun endlich die Jagd nach der verschwundenen Geldkassette losgehen konnte, inspizierte der Professor noch das sonderbare Türschloß mit interessierten Blicken und gab mir eine kurze technische Unterweisung in das Handwerk der Schließtechnik.


Van Dusen: [steht an dem Eichentor]

Ah, das recht bemerkenswerte Türschloß, für welches eine intensivere Betrachtung der technischen Art mir durchaus lohnend erscheint. Sehen sie, Hatch. Es handelt sich um kein normales Schloß im herkömmlichen Sinne. Es ist eine Sonderanfertigung. Eine Bauart, die ich bisher in dieser Ausführung noch nicht angetroffen habe.


Hatch:

Was ist denn so Besonderes an dem Schloß? Bis auf den Riegel sieht es nicht anders aus wie alle anderen, die mir bekannt sind.

Van Dusen:

Genau das ist der wesentliche Unterschied. Passen sie auf, Hatch. Mit der jetzt vorliegenden Verriegelung ist es uns nicht möglich, die Tür zu öffnen. Das gilt vor allem, wenn sich jemand von draußen Zutritt in das Gebäude verschaffen will.



Hatch:

Wie es bei uns heute früh wohl auch gewesen ist.


Van Dusen:

Von der Bauweise betrachtet entspricht dieses Türschloß eher einem Sicherheitspatent. Auch wenn der Schließmechanismus durch einen Schlüssel entriegelt werden kann, so blockiert jener Zusatzriegel das Eindringen, sobald die Tür wieder zugefallen ist.


Hatch:

Wie kommen wir denn hier wieder heraus?


Van Dusen:

Das ist das geringste Problem. Dazu muß man den Riegel nur wieder in die Ausgangsposition zurückdrücken. [Van Dusen drückt einen Schieber am Schloß zurück bis es plötzlich klickt und öffnet dann die Tür]


Hatch:

Trotzdem scheint mir das nicht gerade von großer Besonderheit zu sein. Ist doch nur ein Riegel.


Van Dusen:

Sie sind und bleiben ein technisch unsensibler Ignorant, Hatch! Nicht die Tatsache, daß es einen Zusatzriegel gibt ist von Interesse, sondern die Funktionsweise, wann dieser zum Einsatz kommt. [Van Dusen drückt die mehrmals Klinke nach unten] - Sie sehen, daß der Riegel allein durch das Betätigen der Klinke nicht aktiviert wird, was auch nicht sein darf, da sonst die Tür nicht mehr geschlossen werden kann. Man muß vielmehr die Falle, also den beweglichen Schnapper voll durchdrücken bis er knapp an der Stulpe anschlägt. [der Professor drückt die Falle in das Schloß hinein bis es wieder klickt] – Und schauen sie, da schnappt die Falle zu und der Zusatzriegel wird über eine Zahnstange bewegt. Nebenbei bemerkt, läßt sich die Tür natürlich auch von außen öffnen. Dazu wird lediglich ein Doppelbartschlüssel benötigt, der die Zahnstange ebenfalls in die Endlagen verschieben kann.


Hatch: [gibt dem Professor durch Händeklatschen Beifall]

Bravo. Und wieder ist es dem genialen Professor van Dusen gelungen, eine eigenhändig gestellte Falle zuschnappen zu lassen. Großen Dank für den schönen Vortrag, Professor.


Van Dusen: [mürrisch]

Sie sollten meine Erklärungen nicht so leicht auf die Schulter nehmen, Hatch. Stellen sie sich lieber die Frage, auf welche Weise die Täter ins Gebäude hineinkommen konnten? Aber das muß ihnen ja nach allen Details, die mittlerweile offenliegen, sonnenklar sein. Oder irre ich mich vielleicht?


Hatch als Erzähler:

In diesem Moment mußte ich erstmal wieder schlucken. Sie kennen mich, und somit wissen sie auch, daß ich mit meinen Mutmaßungen meistens in die falsche Richtung schieße, bis auf die wenigen Glückstreffer, die mir allzu selten zu einem Glorienschein verhelfen. Aber fahren wir fort in der Geschichte. Wir traten nach draußen auf die Straße, wobei wir kommentarlos an den Herrn Pasternak vorbeihuschten, um Egon entgegenzutreten, der mit einem Mann im Gespräch war, welcher mir nicht ganz unbekannt erschien.


Hatch:

Hallo Egon, wen hast du uns da denn mitgebracht? Moment! Das ist doch der Mann, der mich gestern am Bahnhof fast umgerannt hätte.


Van Dusen:

Sehr schön, Egon. Gut gemacht. - [Van Dusen geht auf den Mann zu] -

Ihnen ist doch gestern ein Kutschfahrzeug mit einem Noniusz-Gespann entwendet worden, guter Mann, oder?


Kutscher:

Gaanz reecht, mein Heerr.


Van Dusen:

Und wahrscheinlich wurden sie bei dieser Aktion durch einen Fahrgast, oder genauer gesagt, durch eine dunkelhaarige Dame von ihrem Fahrzeug abgelenkt.


Kutscher:

Jawoohl, jawoohl, mein Heerr. Man haat miech getääuscht und bestoohlen.


Van Dusen:

Erklären sie sich näher, guter Mann. Erzählen sie mir, wie sie hereingelegt worden sind.


Kutscher:

Voon Baahnhof heeraus kam hiebsche Daame, die miet meine Kuuhtsche woollte faahrn. Sie miech bitten zu hoolen iehre Gepääck von Baahnhof, iech geehen, und schwuubs, sie steehlen mein Gespaahn.


Van Dusen:

Haben sie irgendwelche Auffälligkeiten bei der Dame festgestellt oder könnten sie die Frau sogar beschreiben?


Kutscher:

Määchtig verschnuupft sie war geweesen. Iemmer miet Taaschentuch vor Geesicht sie schnaauben und niehsen.


Van Dusen:

Die Dame hielt die ganze Zeit ihr Gesicht durch ein Taschentuch geschützt? Interessant. Und geniest hat sich auch? Wann genau hat die Dame denn ihre Erkältung so lautstark zum Ausdruck gebracht.


Kutscher:

Ooch jah, als iech geehen zu Gepääck sie muußte riechtig lauut niehsen.


Van Dusen: [macht ein glückliches Gesicht]

Aha, äußerst interessant, wenn nicht sogar bezeichnend.


Hatch:

Hört sich fast so an, wie in dem Fall „Eine Unze Radium“ 6), als Madame du Chateau-Neuf ihren Hustenanfall bekommen hat.


Van Dusen:

Genau dieser Gedanke ist mir ebenfalls gekommen, mein lieber Hatch. Die junge Dame am Bahnhof versuchte zum einen, ihr Gesicht mittels Taschentuch geschickt zu verbergen, zum anderen, durch einen lauten Nieser ein Signal zu vermitteln, daß alles für den geplanten Diebstahl bereit sein würde. Die Unbekannte bestieg damit die Kutsche, währenddessen sich ein männlicher Komplize des Führerstandes bemächtigte und zur Flucht ausholte. - Guter Mann, haben sie vielleicht ein Monogramm oder Ähnliches auf dem Taschentuch sehen können? Große aufgestickte Lettern bzw. Buchstaben?


Kutscher:

Heerrjemineeh, da frageen sie miech abeer etwaas. Jaah, da war etwaas auf deem blietenweeißen Tuuch, abeer mein kleeiner Koopf iest niecht iemmer gut zu Fuuß.


Van Dusen:

Was sie nicht sagen. Sie können sich also nicht mehr daran erinnern, welche Zeichen auf dem Taschentuch gestanden haben? Mmh, nun gut, dann muß ich zu einem weiteren Hilfsmittel greifen. Kommen sie doch bitte ganz nah zu mir heran, guter Mann. Schauen sie mir dabei in die Auge, nicht wegschauen. Immer nur in die Augen schauen. Ja, so ist es richtig. [Van Dusen versucht den Kutscher zu hypnotisieren]


Kutscher: [nähert sich dem Professor und fixiert seine Augen]

Jaah, waas iest blooß miet mier loos? Mier wird gaanz aanders.


Hatch als Erzähler:

Professor van Dusen hatte mal wieder tief in seiner Trickkiste gewühlt und sich nun als Hypnotiseur entpuppt. Er sprach mit ruhiger und sanfter Stimme zum Kutscher und versetzt ihn langsam in den Trancezustand, um dann einen Dialog mit dem Unterbewußtsein führen zu können. Jetzt versuchte Van Dusen über die Annäherung von assoziativen Bildern eine Brücke zu der entfallenden Erinnerung des Kutschers aufzubauen. Dieser war nun völlig abgetreten, hörte aber intensiv auf die Worte des Professors.


Van Dusen: [mit ruhiger Stimme]

Entspannen sie sich. Denken sie einfach an eine weite grüne Wiese durch die eine Eisenbahnstrecke führt. Kein Mensch und kein Tier ist zu sehen, nur sie und ein stehender Zug sind Mittelpunkt des Geschehens. Sie stehen bei der Lokomotive und schreiten jetzt langsam alle Wagen des Zuges ab. Der erste Wagen ist mit einem großen „A“ gekennzeichnet, der nächste mit „B“ und so weiter und so fort, bis schließlich der letzte mit dem „Z“ kommt. Lassen sie sich Zeit und schauen sie von draußen durch die Fenster in die Wagen hinein. Heben sie bitte die Hand, wenn sie die Dame mit dem weißen Taschentuch in einem der Wagen wiedererkennen. - Ich beginne: ...... A ...... B ...... [der Kutscher hebt die Hand]


Hatch: [flüsternd]

Sehen sie doch, Professor, er hat seine Hand bewegt.


Van Dusen:

Sssch, kein Wort mehr, Hatch. - Das machen sie sehr gut, mein Herr. Laufen sie weiter an der Zugreihe vorbei, bis sie ein lautes Niesen aus einem der Wagen hören. Heben sie dann erneut ihre Hand, mein Herr. - ..... B ..... C ..... D .....


Hatch als Erzähler:

Als Van Dusen dann bei dem Buchstaben „K“ angelangt war, hob der Kutscher plötzlich wieder seine Hand hoch. Der Professor war sichtlich erfreit über seinen Erfolg und grinste über das ganze Gesicht.


Van Dusen:

Ausgezeichnet, einfach großartig, mein Herr. Sie haben ihre Aufgabe mit Bravour gemeistert. [klascht zweimal laut in die Hände] – So, sie können wieder zu sich kommen, guter Mann.


Kutscher:

Wie, waas? - Bien iech eeben etwaa eeingeschlaafen. Iech fühlee miech soo beeschwiengt.


Van Dusen:

Machen sie sich keine Sorgen, guter Mann. Sie hatten eben einen kurzen Anfall von Müdigkeit, völlig harmlos. Aber vielleicht kann ich sie damit aufmuntern, indem ich ihnen mit voller Zuversicht mitteile, daß ihre Pferde samt Kutsche in Kürze wieder auftauchen werden. Ihr Gespann hat mit Sicherheit seinen Zweck erfüllt und wird irgendwo in der Stadt anzutreffen sein.


Kutscher:

Wuundeerbar. Iech freeue miech schoon sehr aauf meinee kleeinen Liebleenge.

Van Dusen: [zieht kurz seinen Hut und verabschiedet sich]

Sie haben mir sehr geholfen. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Sonntag.


Egon: [euphorisch]

Wow, sowas Beeindruckendes habe ich noch nicht gesehen. Sie hatten ja eben die völlige Kontrolle über diesen Mann, Herr Professor. Ich dachte immer, das wäre nur alles Humbug mit der Hypnose.


Hatch:

Tja, mein lieber Freund, und wenn der Professor gewollt hätte, dann hätte er den Kutscher ohne weiteres auf den Händen tanzen und dabei miauen lassen.


Van Dusen:

Lassen sie doch ihre albernen als auch deplazierten Witze, Hatch. - Ich habe nun die Information, nach der ich gesucht hatte. Das Monogramm auf dem Taschentuch lautet entweder B.K. oder K.B., und somit haben wir höchstwahrscheinlich auch die Anfangsbuchstaben vom Namen der gesuchten Dame. Ein weiterer wichtiger Anhaltspunkt, der uns von Nutzen sein könnte.


Hatch:

Vor allem mir. Ich wüßte nur zu gern den Namen von dieser geheimnisvollen Schönheit. Natürlich rein aus kriminologischem Interesse, versteht sich. [an Hatch flaniert eine Blumenfrau mit Korb vorbei, der er eine Weile nachschaut bis ihm ein plötzlicher Gedanke durchzuckt]


Hatch: [steht starr mit offenem Mund und großen Augen]

Haah, mir fällt da auf einmal was ein, Professor. Wie ich gerade diese Frau mit dem Blumenkorb sehe ... [guckt den Professor verschämt an] ... fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hoffe, sie werden mir nicht zu böse sein, wenn ich ... [stammelt] ...wenn ich ...


Van Dusen:

Sprechen sie sich nur aus, mein lieber Hatch. Was liegt ihnen denn auf dem Herzen?


Hatch:

Nun, ich glaube ... ohlala .... ich habe ihnen noch etwas nachzureichen, was die rätselhafte Dame anbelangt. Wird wahrscheinlich auch nicht so von Wichtigkeit sein, wenn ich ihnen sage ... sage...


Van Dusen:

Nun sagen sie endlich, was sie vergessen haben mir mitzuteilen. Drucksen sie doch nicht so vor sich hin, Hatch.


Hatch:

Also gut. Die elegante Dame von heute früh hatte auch einen Korb bei sich gehabt, in dem allerhand Sachen gelegen haben.


Van Dusen:

Einen Korb? - Das sagen sie mir erst jetzt?


Hatch:

Ein Korb, in dem eine Regenpelerine verstaut war.


Van Dusen: [verdutzt wiederholt er Hatchs Worte]

Eine Regenpelerine...


Hatch:

Und dann war da auch so ein Knüppel oder? Nein, nein, es sah mehr nach einer Keule aus. Schaute ein wenig unter der Pelerine hervor.


Van Dusen: [immer noch verdutzt]

Knüppel ... Keule?


Hatch:

Ansonsten lag noch eine Schachtel Streichhölzer oben auf.


Van Dusen: [starrt vor sich hin]

Streichhölzer? - [Van Dusen plötzlich hellwach] – Zündhölzer! Schwefelhölzer, Hatch!! [der Professor läuft plötzlich los] - Los! Kommen sie! Auch sie, Egon! Wir müssen uns sofort dorthin begeben, wo sie die junge Frau zuletzt gesehen haben, Hatch. - Nun machen sie schon! [im Laufen zu Hatch] Mit ihren etwas verspäteten Fragmenten ihrer Erinnerung haben sie just genau zur rechten Zeit die richtigen Stichwörter geliefert. Ich weiß jetzt, auf welchem Wege das Geld transportiert worden ist.


Hatch:

Aber sie sagten doch schon vorhin, daß die Geldkassette durch das Toilettenfenster verschwunden ist.


Van Dusen: [keuchend]

Ich meine doch, welchen weiteren Weg die Diebe gewählt haben, Hatch. - So, ich glaube wir sind nun an der Ecke angelangt, an der sie die Dame zuletzt gesehen haben.


Hatch:

Genau hier war es.


Van Dusen:

Und jetzt richten sie ihren Blick in jene Gasse. Wenn wir entlang dieser Gasse noch ein Stückchen gehen, müssen wir irgendwann nach links einbiegen und sind dann wo?


Hatch:

Sagen sie bloß, daß wir dann zur Rückseite des Konferenzraumes kommen.



Van Dusen:

Exakt dorthin werden wir uns stehenden Fußes begeben und schließlich auf einen Kanaldeckel stoßen, den ich vorhin vom Fenster des Waschraumes aus wahrgenommen habe. [Van Dusen, Hatch und Egon laufen durch die Gasse zum Kanaldeckel]


Egon: [kommt als erster beim Kanaldeckel an]

Hier ist er schon, Herr Professor, der Deckel zur Unterwelt unserer Stadt.


Van Dusen:

Sehr schön, Egon. - Ja, das muß der richtige Einstieg gewesen sein. Sehen sie hier, meine Herren. Die lockere und zum Teil aufgebrochene Sandschicht außen am Deckelrand ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß dieser Schacht erst kürzlich geöffnet worden ist.


Hatch:

Na dann, worauf warten wir noch? Ab in den Keller.


Van Dusen:

Halt, halt! Nicht so voreilig, Hatch. Haben sie nicht eine winzige Tatsache vergessen?


Hatch:

Glauben sie etwa, daß uns die Diebe dort unten auflauern werden?


Van Dusen:

Das bereitet mir weniger Sorge. Die Täter werden schon unlängst aus dem Labyrinth der Kanalisation entkommen sein. - Nein. Ich glaube kaum, Hatch, daß sie sich in der dunklen Finsternis der Gänge zurechtfinden werden. Da ihre wenigen Zündhölzer kaum das notwendige Licht spenden werden, wäre es erstmal ratsam, sich schleunigst eine elektrische Handlampe zu besorgen.


Egon:

Herr Professor, ich habe bei mir zuhause eine Handlampe. Ich kann sie sofort holen, wenn sie wollen.


Van Dusen:

Das trifft sich gut, mein guter Egon. Ausgezeichnet. Mmh, ließe es sich einrichten, daß du mir weitere wichtige Hilfsmittel für unsere Exkursion organisierst, Egon?


Egon:

Was benötigen Sie denn alles, Herr Professor?


Van Dusen:

Der Orientierung wegen könnte ein schlichter Taschenkompaß gute Dienste leisten, dann noch einen maßstabsgetreuen Stadtplan von dieser Gegend, und einen Transporteur oder Rapporteur, wie der Franzose sich auszudrücken beliebt.


Egon:

Wie bitte? Was meinen Sie mit Transporteur?


Van Dusen:

Eben eine mit einer Winkelgradeinteilung versehene Meßhilfe. Einen klassischen Winkelmesser in Form eines Halbkreises, wenn man so will.



Egon:

Ach, so. Na klar, sowas kenne ich. Mein Vater hat bestimmt so ein Winkellineal bei sich in der Schreibkommode herumliegen. Ja, und einen Stadtplan der letzten drei Jahre reicht Ihnen aus, Herr Professor?


Van Dusen:

Durchaus, Egon, aber er muß maßstabsgetreu sein. Darauf lege ich größten Wert. Und vergessen sie nicht den Kompaß. Sie sind doch hoffentlich im Besitz eines solchen Gerätes, das uns die Ausrichtung des Erdmagnetismus anzeigen kann?


Egon:

Auch das geht klar. Kompaß besitze ich selber. Muß nur ein bißchen in meinen Sachen rumwühlen.


Van Dusen:

Nun gut, dann darfst du dich auf den Weg machen, Egon. Aber beeile dich!


Hatch als Erzähler:

Das ließ sich der junge Egon nicht zweimal sagen. Voller Euphorie rannte er sofort los, um sich in den Dienst des Professors zu stellen. Mir sollte das ganz recht sein, wenn endlich mal ein anderer außer Hutchinson Hatch von A nach B und von Pontius zu Pilatus 7) geschickt wurde. Egon nahm das dankbar an. Van Dusen und ich warteten dagegen am Kanaldeckel, wobei dem Professor eine gewisse Ungeduld deutlich anzusehen war. Er war jetzt voller Tatendrang und konnte, ähnlich wie bei einem aufgeregten Jagdhund, es kaum erwarten, der neuen Fährte nachzujagen.


Hatch:

Ja, da müssen wir noch ein bißchen warten, Professor. Aber so flink wie der Egon ist, wird er im Handumdrehen wieder hier sein. - So werden wir uns erstmal in Geduld üben.


Van Dusen: [leicht vergnatzt zu Hatch]

Hätten sie mir die Information hinsichtlich des Korbes schon in der Droschke mitgeteilt, wären wir längst viel weiter, vielleicht sogar im Besitz der Geldkassette. Stattdessen verlieren wir wieder kostbare Zeit, weil sie gewisse Fakten für unwichtig halten, gar ignorieren, Hatch.


Hatch:

Wieso kommen sie eigentlich darauf, daß die Täter über die Kanalisation geflüchtet sind?


Van Dusen:

Das bedarf doch wohl kaum einer weiteren Erklärung, oder? - Oh, je. - Ihrem fragenden Gesicht zu urteilen, scheinen sie immer noch nicht zu wissen, wie ich zu meinen Schlußfolgerungen gekommen bin. - Da wäre einmal die Pelerine. Ein Dame von Welt, welche ihrer Beschreibung nach vornehm und elegant ausstaffiert gewesen ist, würde sich bei einem anbahnenden Wetterumschwung wohl kaum mit einer schlichten Pelerine kleiden. Das wäre ein absoluter Fauxpas, völlig ausgeschlossen. Sie würde eher einen passenden Schirm bei sich tragen, oder aber den nächstgelegenen Schutz eines Unterstandes aufsuchen.


Hatch:

Und die Streichhölzer hat sie sicher für eine Petroleumlampe oder ähnliches benötigt.





Van Dusen:

Genau genommen, wird es sich um eine Fackel gehandelt haben. Erzählten sie doch gerade selber, mein lieber Hatch, daß sie einen keulenförmigen Gegenstand unter der Umhang haben vorlugen sehen.


Hatch:

Ich kann es kaum fassen. Ein so bezauberndes Fräulein, und dann in einem solchen Raubüberfall verstrickt. Da versteh´ einer noch die Welt.


Van Dusen:

Subjektive Beurteilungskriterien haben in der Kriminologie nichts zu suchen. Merken sie sich das, Hatch. Hier zählen nur die Fakten, die nackten Tatsachen. Es ist nicht das erste mal, daß jemand seines Nimbus entkleidet wurde, wenn es um die Aufklärung eines Verbrechens ging.


Hatch als Erzähler:

An dem, was der Professor so von sich gab, schien wohl etwas dran zu sein. Lug und Trug sind uns bei den vielen Fällen, die uns in den letzten sechs Jahren begegnet sind, des öfteren über den Weg gelaufen. Aber ich hatte so ein unbestimmtes Gefühl, daß sich die ganze Sache hier anders verhält. Auch wieder so ein subjektives Empfinden. Aber was soll ich machen?- Wir warteten noch etwa zehn Minuten, als Egon wieder in die Gasse einbog und mit Laufschritten auf uns zukam.


Van Dusen:

Ah, da kommt der gute Egon, endlich. - Hatch, bereiten sie sich vor. Entfernen sie den Deckel. Meine Herren, steigen wir hinab in den ersten Höllenkreis, oder wie es Dante so trefflich mit den geäußerten Worten Vergils zur Sprache brachte:


„Daher zu deinem Besten ist mein Rat,

Daß du mir folgst: ich werde dich geleiten

Durch ew´gen Raum hinweg von diesem Pfad“


Hatch:

Na, dann rein ins Vergnügen.


Egon:

Wow! Abenteuer, wir kommen! - [die drei Männer klettern den Schacht hinunter; von innen verschließt Egon den Eingang wieder, indem er den Deckel zurückschiebt]


Van Dusen:

Egon, geben sie mir bitte ihre elektrische Handlampe und den Kompaß. Sehen wir uns einmal um, in welche Richtung die Täter entschwunden sein könnten. Mmh, Fußspuren werden bei dem übermäßig vorliegenden Wasserstand kaum anzutreffen sein. [Van Dusen leuchtet zum Deckengewölbe] Und wenn wir nach oben schauen, dann .... [sieht einen dunklen Fleck an der Decke] ...dann kommt nur diese Richtung in Frage.


Egon:

Was macht sie so sicher, daß die Diebe gerade dort entlang gelaufen sind, Herr Professor?


Van Dusen:

Siehe dir genau das Deckengewölbe an, Egon. Hier, genau an dieser Stelle muß die Fackel für längere Zeit hochgehalten worden sein, wie der große Rußfleck dort oben sehr schön zeigt. Und ich würde mich nicht wundern, wenn uns auf dem Wege noch weitere Rußflecken begegnen werden. Schließlich wird die Geldkassette schätzungsweise an die 40 kg gewogen haben. Da ist es nicht auszuschließen, daß der Träger dieser Truhe gelegentlich eine Pause eingelegt hat und zum Stehen kam. Unser geheimnisvolles Fräulein wird ihm dabei sicher zur Hand gegangen sein, indem sie ihm mit einem brennenden Holzscheit leuchtete und somit wird sie auch für weitere Rußschwärzungen gesorgt haben. - Egon, geben mir jetzt noch den Stadtplan und den Transporteur. Zur Orientierung muß ich über unsere weiteren Schritte genauestens Buch führen. [Van Dusen nimmt den Kompaß zur Hand und notiert sich irgendwelche Zahlen auf einem Zettel und markiert Punkte auf dem Stadtplan] – So, lassen sie uns mit den Nachforschungen beginnen.


Hatch als Erzähler:

Damit marschierte der Professor vorne weg, wobei er seine exakt abgezirkelten Schritte leise mitzählte. Wie es Van Dusen vorausgesagt hatte, trafen wir bei unserer unterirdischen Wanderung auf weitere Rußflecken, die sich an der Decke abzeichneten. Bei jeder Wegbiegung legten wir einen Stop ein, worauf der Professor sich Zahlenwerte notierte und den Kompaß neu ausrichtete. Irgendwann blieb er mitten im Gang stehen und schaute hinunter zur rechten Wandseite.


Van Dusen:

Heureka! 8) Wir sind am Ziel angelangt.


Hatch:

Ziel? Hier so mitten in den Klärgängen?


Egon:

Sie meinen die Wand, Herr Professor?


Van Dusen:

In der Tat, Egon. Die gemauerte Wand. Denn, wenn sie zu meinen Füßen hinunterschauen, meine Herren, so sehen sie einige Reste von Mörtel, welcher vor nicht allzu langer Zeit zur Ausbesserung der Wand angesetzt worden ist. Und wenn ich meinen Finger in eine der Fugen der Mauersteine drücken, so bemerken sie sofort, daß diese noch sehr weich sind. Die Steine sind erst vor wenigen Stunden eingesetzt und mit dem Mörtel verfugt worden. Hinter diesen Steinen wird sich das Geheimnis der Geldkassette lüften. - Hatch, dürfte ich sie darum bitten, die wenigen Steine, unter Zuhilfenahme ihrer unteren Extremitäten, mit gezielten Tritten loszubrechen.


Hatch:

Ah, der Mann fürs Grobe wird wieder mal verlangt. Ich hoffe, daß ich mir dabei nicht noch den Knöchel breche. Gewisse Vorschädigungen hat er ja heute schon erlitten.


Van Dusen:

Hatch, unterlassen sie doch ihr larmoyantes Getue. - Zeigen sie Aktivität. Oder soll ich Egon bitten, mir bei der Auflösung des Falles zu assistieren?


Egon:

Na klar!


Hatch:

Nichts ist klar! Soweit kommt es noch, du vorwitziger junger Spund. Das erledige ich! Werden doch mal sehen, wer hier die Wände zum Wackeln bringt. [mit dem Rücken zur Wand tritt Hatch nach hinten gegen die Wand, wobei sofort ein kopfgroßes Loch offengelegt wird] – Uuuund, Schmackes!! - Hey, wer sagt´s denn. Auf den alten Hatch ist doch Verlaß.


Van Dusen:

Lassen sie mich mal schauen, mein lieber Hatch. Ihr mühevoller Einsatz sollte erstmal genügen, um einen forschenden Blick durch das Guckloch wagen zu dürfen. [leuchtet mit der Handlampe durch die Mauerkluft] – Exzellent! Ich bin ausgesprochen zufrieden mit dem Resultat. Wir können uns gegenseitig gratulieren. Die Geldkassette steht keine 3m von uns entfernt auf der anderen Seite dieser Mauer. - Mmh, scheint mir ein altes Kellergewölbe zu sein, mit einer nicht zu unterschätzenden Auswahl von Weinen, die dort gelagert werden.


Hatch:

Na, dann holen wir uns doch die Truhe und der Fall ist gelöst.


Van Dusen:

Ich stimme mit ihnen völlig überein, Hatch, daß wir die Kassette umgehend in unsreren Besitz bringen sollten, aber der Fall ist keineswegs schon gelöst. Von einem Professor van Dusen wird immerhin erwartet, daß sämtliche Vorfälle und Hintergründe, die mit diesem Problem in Verbindung stehen, lückenlos aufgeklärt werden. Und dazu bedarf es noch ein wenig an Zeit, die ich mir für weitere Recherchen erübrigen muß. Aber tun sie sich kein Zwang an, Hatch. Holen sie die Truhe aus dem Versteck, wenn ihnen der Sinn danach steht.


Hatch:

Und ob ich das will. Los, Egon, hilf mir mal die losen Steine zu entfernen. So passe ich noch nicht hindurch.


Egon:

Mit Vergnügen. Das ist alles so aufregend. - Erlebt ihr eigentlich öfters solche spannenden Geschichten?


Hatch:

Seitdem ich als Reporter des Daily New Yorker auf den Professor aufmerksam geworden bin, gab es eigentlich nur noch aufregende und interessante Kriminalfälle. Professor van Dusen zieht die Verbrechen förmlich magisch an. Aber nun komm, ein paar Steine müssen noch weg.


Egon:

Mr. Hatch, ich glaube, ich werde auch mal ein Reporter oder Journalist. Sowas würde mir Spaß machen, davon bin ich überzeugt. Dieses Leben ist richtig aufregend.


Hatch:

Na, dann Willkommen im Club, Egon. Als einen künftigen Kollegen überlasse ich dir auch den Vortritt, um die Truhe herauszuholen. Also los.


Egon:

Wow! Danke. Bin gleich wieder da. [damit verschwand Egon durch das enge Loch in der Mauer]


Hatch als Erzähler:

Während Egon und ich uns abmühten, die schwere Truhe durch den Mauerspalt zu bugsieren, machte der Professor Anstalten ganz anderer Art. Still und etwas geistesabwesend machte er im restlichen Dämmerlicht der Handlampe ein paar Berechnungen und zeichnete mit dem Winkelmesser gerade Linien auf den Stadtplan. Als wir endlich die Geldkassette in den Gang geschafft hatten, war auch der Professor mit seinen Überlegungen fertig.



Van Dusen:

Ah, die Kassette. Werfen wir doch einen kurzen Blick hinein. Wie man sieht, haben die Täter sich schon die Mühe gemacht, das Vorhängeschloss aufzubrechen. So bleibt uns nur, dieses einfach abzunehmen und ... [nimmt das Vorhängeschloss ab]


Hatch:

... oih, alles voller Gold- und Silbermünzen. Das hat sich ja gelohnt, bzw. hätte sich fast gelohnt. Die Diebe werden ziemlich dumm aus der Wäsche gucken, wenn sie hier die Münzen wieder abholen wollen.


Van Dusen:

Ich schlage vor, daß sie Beide die Truhe an den Tragehenkeln anfassen und einige Schritte in diese Richtung weitergehen. Vielleicht stoßen wir noch auf ein paar interessante Spuren. Denn eines sollte klar sein. Einer der Täter muß hier in der Kanalisation verblieben sein, sonst wären die Mauerfugen nicht so sauber verschmiert gewesen. Demnach muß diese Person die Kanalisation auch wieder an einer ganz bestimmten Stelle verlassen haben. Dorthin werden wir uns jetzt hinbegeben.


Hatch:

Los, Egon. Hau ruck! [Hatch und Egon schleppen die Truhe hinter dem Professor hinterher]


Van Dusen: [nach etwa drei Minute bleibt der Professor stehen]

Wie ich es geahnt habe. Hier ist wieder ein großer Rußfleck an der Decke, und wie man in einigen Metern Entfernung unschwer erkennen kann, steht dort auch jene kalt erloschene Fackel an der Wand gelehnt. Hier muß der Ausstieg gewesen sein. [Van Dusen zeigt auf den Stadtplan] Die von mir berechneten und eingezeichneten Strecken im Stadtplan enden genau an diesem Punkt. Egon, gehe ich recht in der Annahme, daß es sich bei dieser im Plan verzeichneten Stelle um einen kleinen Platz handelt in dessen Nähe sich auch ein Brunnen befindet?


Egon: [schaut auf den Plan]

Zeigen Sie mir die Stelle genau, Herr Professor. [Van Dusen zeigt mit einem Federhalter auf den Plan] – Ja, da gibt es einen Brunnen.


Van Dusen:

Sehr schön. Das bringt mich auf einen Gedanken. - Da man sich erlaubt hat, Professor Doktor Doktor Doktor Augustus van Dusen mit einer solch durchsichtigen und dazu fadenscheinigen Geschichte zu konfrontieren, ausgerechnet einer so eminenten Persönlichkeit wie mir, werde ich für meine Person ebenfalls den Anspruch erheben, in diesem fingierten Schauspiel einen Wechsel des Szenenbildes vorzunehmen. Dazu werden sie, mein lieber Hatch, sich umgehend zur Karlsbrücke begeben und am Franzens-Quai einige Besorgungen durchführen. Ich benötige einmal einen Bootshaken bzw. nur den hakenförmigen Metallbeschlag, welchen man von der Stange abnehmen kann, und ein etwa 20 Meter langes Tauwerk oder Hanfseil. Dieses sollte eine Stärke besitzen, mit dem es möglich sein sollte, ein Menschengewicht problemlos anheben zu lassen, ohne daß es zerreißt.


Egon:

Ein Hanfseil kann ich auch besorgen. Mein Vater ist schließlich Tuchhändler und hat in seinem Bestand auch diverse Seile gelagert. Ich glaube es handelt sich dabei um 80 Fuß langes Tauwerk aus Sisal oder so ähnlich. Das macht dann, äh ...




Van Dusen:

... exakt 24,38 Meter, was für unsere Zwecke akzeptabel wäre. Ausgezeichnet, Egon, dann beschaffe du das Seil und zeige dann gleich Mr. Hatch, wie er zu den Kai-Anlagen gelangen kann. [überlegt einen Moment] - Mmh, dein Vater ist Tuchhändler? Bringe doch bitte gleich ein paar Meter Leinen mit, wobei eine minderqualitative Gewebesorte völlig ausreichend sein wird. Damit können wir erstmal die Truhe einwickeln, damit sie den neugierigen Blick der Passanten verborgen bleibt.


Hatch:

Tja, geteiltes Leid ist halbes Leid. Los, Egon, machen wir uns auf den Weg. Und was machen sie in der Zwischenzeit, Professor?


Van Dusen:

Ich verbleibe dieserorts und denke nach, welche weiteren Schritte ich heute noch auszuführen gedenke. Es wird für mich ein sehr langer Tag, besser gesagt, eine sehr lange Nacht werden. Ich gebe ihnen noch einen Zettel, Hatch, auf dem eine Telefonnummer steht. Informieren sie Herr von Klausen, daß er sich nebst Begleitung des Herren Pasternak, aber auch der Polizisten Brambory und Pepr, pünktlich um 17 Uhr 30 an diesem Ort einfinden soll. Natürlich meine ich damit den obengelegenen Platz mit dem Brunnen. Und kein Wort davon, daß wir in dem Besitz der Geldkassette sind oder von unserem unterirdischen Spaziergang in der Kanalisation, Hatch! Ich möchte den Herren eine kleine Überraschung bereiten. Für den Herrn Tsukagoshi besteht dagegen keine Notwendigkeit, meiner Weisung folgezuleisten. Ihm möchte ich weitere Bemühungen ersparen. Ich treffe ihn ohnehin heute Abend nochmal an.


Hatch:

Warum denn so geheimnisvoll? Und warum lassen sie die Herren nicht direkt hier in der miefigen Kanalisation antanzen, damit sie das Geld selber wieder abholen können?


Van Dusen:

Ich habe meine Gründe, Hatch. Das sollte ihnen erstmal als Antwort genügen. - Du, Egon, kehrst sogleich wieder zurück, sobald du das Seil besorgt hast und hilfst mir bei den Vorbereitungen. Wir warten dann am Brunnen bis Mr. Hatch wieder zurück ist und die anderen Herren dort eingetroffen sind.


Egon:

Geht klar.


Hatch:

Und mich läßt man wieder im Dunkeln stehen. Ich möchte auch gerne wissen, was sie alles mit den Sachen so vorhaben?


Van Dusen:

Später, Hatch, später. [spöttisch zu Hatch] - Wenn sie nicht länger hier im Dunkeln stehen wollen, dann wird es wohl Zeit, daß sie sich endlich Licht verschaffen. Vielleicht kommen ihnen ja oben an der frischen Luft noch einige aufschlußreiche Gedanken.


Hatch:

Ja, Ja. - [steigt den Gang empor und singt in tiefer Stimmlage leise vor sich hin]

... Es hat schon seinen Sinn, daß ich Wasserträger bin. Denn ohne Wasser merkt euch das, wär unsere Welt ein leeres Faß... [öffnet den Deckel und steigt an die Oberfläche; Egon folgt ihm]



Hatch als Erzähler:

Egon und ich schlüpften in einem günstigen Moment, da uns niemand auf dem Platz beobachten konnte, aus unserem unterirdischen Versteck und liefen zur Altstadt zurück. Von dort aus ließ ich mich telefonisch mit Herrn von Klausen verbinden, um ihm den neuen Treffpunkt mitzuteilen, wo ihn der Professor erwarten würde. Dann trennte ich mich von Egon und eilte zum Franzens-Quai. Hier wurde der gewünschte Bootshaken von mir erstanden, mit dem ich dann sofort wieder zum vereinbarten Treffpunkt zurückkehrte. Man sollte korrekter sagen, sofort wieder zurückkehren wollte. Leider verzögerte sich der Rückweg um etwa eine halbe Stunde, da ich mich als Ortsunkundiger in den vielen Gassen dieser Stadt glatt verlaufen hatte. Irgendwann landete ich wieder beim Rathaus und mußte mich Stück für Stück durchfragen, wie ich zu dem Brunnen kommen könne. Zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit traf ich endlich beim Professor wieder ein, der mit Egon angeregt plauderte und etwas zylinderförmig Schwarzes in den Händen hielt.


Van Dusen:

Wo bleiben sie denn, Hatch? Gab es etwa unvorhergesehene Probleme beim Kauf eines Bootshakens oder haben sie noch eine Stadtrundfahrt gemacht?


Hatch:

Ich würde eher sagen, Letzteres, aber unbeabsichtigterweise. Die kleinen Gassen sehen alle gleich aus, und da war es schon geschehen, daß ich mich vollends verfranzt hatte.


Van Dusen:

Nun gut, jetzt sind sie ja da. Ich spreche gerade mit Egon über jenen interessanten akustischen Tonträger, den ich in der Hand halte.


Hatch:

Professor, haben sie etwa die Phonographenwalze eingesteckt, die mit den Slawischen Tänzen? Das sind ja ganz neue Sitten, die da zum Vorschein kommen. Ihnen gefällt wohl diese Art von Musik. Doch so einfach klammheimlich mitnehmen, ich weiß nicht?


Van Dusen:

Sie befinden sich wie immer auf dem sprichwörtlichen Holzweg, auf dem sie allzu gerne umherwandeln, Hatch. Ich habe es wohl kaum nötig, mich aus Eigennutz an einer Edison-Walze bereichern zu wollen, und schon gar nicht, um den musikalischen Werken Dvoraks zu lauschen. Viel wichtiger ist die Erkenntnis, daß es sich bei dieser Walze um einen Etikettenschwindel handelt.


Hatch:

Wieso denn das? Ich wüßte nicht, daß sie die Walze abgespielt haben und ich glaube kaum, daß sie anhand der Rillen die Musik erkennen können.


Van Dusen:

Da irren sie sich erneut, Hatch. Natürlich ist es mir weitestgehend möglich, die durch eine Phonographennadel auf eine Walze eingeprägten Schwingungsmuster, die sie so lapidar als Rillen titulieren, hinsichtlich ihrer tonalen Herkunft einzugrenzen. Sehen sie sich das Wellenbild der Walze genauer an und sie sehen eine Vielzahl von disharmonischen Sequenzen, oder anders ausgedrückt, treffen wir an den verschiedensten Stellen äußerst unregelmäßige Schwingungsmoden an, die auf eine ebenso unregelmäßige Geräuschkulisse hindeuten. Eben wie es beispielsweise bei einer Sprachaufnahme der Fall sein könnte, die zwischenzeitliche Pausen und vereinzelte lautstarke Ausrufe beinhaltet. Harmonische Klangzüge, die auch nur annähernd etwas mit Musik zu tun haben könnten, geschweige mit dem Slawischen Tanz in g-moll, finden wir kaum auf der Walze vor. Auch sind jene charakteristischen Stimmungslagen, die sich auf dem Tonträger in wiederkehrenden Phasen hätten abzeichnen müssen, nicht im Mindesten erkennbar. Sollten sie dieses musikalische Werk genauer kennen, dann würden sie sofort, ohne den geringsten Zweifel zu hegen, feststellen, daß diese Walze gänzlich mit völlig anderen akustischen Merkmalen beschrieben worden ist. Und wenn sie nun zwei und zwei addieren, mein lieber Hatch, dann werden sie auch wissen, was sich wirklich hinter diesem Etikettenschwindel verbirgt.


Hatch:

Das kommt mir alles irgendwie bekannt vor. Es ist doch erst eine Woche vergangen, als wir es noch mit einer sogenannten Geisterplatte 9) zu tun hatten.


Van Dusen:

Sie sind auf dem richtigen Weg. Nur handelt es sich diesmal nicht, wie im vorherigen Fall, um eine Geisterplatte, die mit rußgeschwärztem Bienenwachs versiegelt worden ist. Unser jetziges Problem besitzt dennoch frappierende Ähnlichkeit mit jenem Täuschungsvorhaben, dessen Zeugen wir vor einigen Tagen bei der äußerst okkult abgehaltenen Séance geworden sind. Aber kümmern wir uns jetzt wieder um den aktuellen Fall. Geben sie mir den Bootshaken. Ich werde ihn hier an das Seilende befestigen. [Van Dusen knotet den Bootshaken an das Seil]


Hatch:

Wollen sie damit im Brunnen nach etwas fischen?


Van Dusen:

Nicht ich, sondern einer der Herren, die sich hier in wenigen Minuten einfinden werde. Sie haben doch hoffentlich Herr von Klausen meine Nachricht übermittelt, Hatch?


Hatch:

Selbstredend. Ist alles unter Dach und Fach.


Van Dusen:

Soweit, so gut. Da noch etwas Zeit ist, werde ich ihnen kurz noch berichten, was für weitere Entdeckungen sich noch ergeben haben. Als sie und Egon die Kanalisation verlassen hatten, bin ich nochmal zurückgelaufen, um den von uns freigelegten Ort des Versteckes genauer zu inspizieren. Dazu habe ich erstmal einige lose Mauersteine entfernt und bin dann in das angrenzende Kellergewölbe gelangt. Dort konnte ich außer den dort gelagerten Weinflaschen noch weitere Fundstücke ausmachen, wie z.B. einen alten Reisekoffer. In diesem befanden sich alte Briefe einer bestimmten Person, sowie eine Handvoll Familienfotos. Die Briefe waren von Jemandem mit Namen Viktor Kinsky signiert gewesen. Der Inhalt jener Dokumente war eher von geringerer Bedeutung gewesen und betraf im Wesentlichen die mit Passion verfassten amourösen Floskeln, die an eine Jugendliebe gerichtet waren. Ganz anders die Fotografien, welche mir das mittlerweile bekannte Gesicht einer Frau im jungen Mädchenalter zeigte. Jener Dame, die sie, mein lieber Hatch, ebenfalls kennengelernt haben. Somit darf darauf geschlossen werden, daß es sich um die Tochter des Herrn Viktor Kinsky handelt, welcher wahrscheinlich nicht mehr unter den Lebenden weilt, sonst wären diese vielen Liebesbriefe wohl kaum in diesem Kellerraum in Vergessenheit geraten.


Hatch:

Damit haben wir ja endlich den Nachnamen von der unbekannten Schönen und sogar die Adresse, wo sie wohnt. Das muß ja hier gleich um die Ecke sein.


Van Dusen:

In der Tat, Name und Adresse sind gewichtige Anhaltspunkte, um den Fall zu einem Ende bringen zu können. Es eröffnet mir zusätzliche Perspektiven für die weitere Aufklärung. Noch viel interessanter ist aber die Tatsache, daß in dem Koffer noch ein Zeitungsartikel von den Ausschreitungen des 30. November 1897 zu finden war, welche in der Stadt Prag wüteten und die schließlich dazu geführt haben, daß es zur Verkündigung des Standrechts gekommen ist. Nehmen sie nun die weiß-rote Fahne, die sich außerdem auf dem Boden des Koffers befand, so können sie daraus gewisse Rückschlüsse auf die Person des Herrn Viktor Kinsky ableiten. Langsam lichtet sich das dunkle Rätsel um die Hintermänner bzw. der Hinterfrau. [Van Dusen sieht Herr von Klausen und die anderen Herren antraben] – Ah, da kommt ja die vollzählige Herren-Riege. Egon, bist du bereit mit dem Seil?


Egon:

Jawohl, alles soweit klar, Herr Professor.


Van Dusen: [geht auf Herr Pasternak zu]

Ah, ja, der Herr Pasternak. Schön, daß sie mir durch ihre bereitwillige Präsenz die Ehre erweisen. Denn geht es doch um nichts Geringeres als der Geldkassette, die sich nunmehr, nach einer kurzen Phase des Eruierens und des intensiven Nachdenkens, angefunden haben wird.


S. Pasternak: [aufgeregt]

Wo? Wo, ist sie?! Ich sehe nichts von einerr Geldkassette. Machen sie sich nicht lustig überr mich, das rrate ich ihnen.


von Klausen:

Herr Professor van Dusen, sie haben das Geld wirklich wiedergefunden? Wie haben sie denn das geschafft? Das müssen sie Herrn Pasternak und mir erzählen.


Van Dusen:

Meine Herren, ich habe nicht viel Zeit, darum schreiten gleich zur Tat. Egon, gib doch bitte das eine Seilende dem Herrn Pasternak. [Egon überreicht das Seilende]


Egon:

Bitte schön.


S. Pasternak:

Was soll ich damit!


Van Dusen:

Natürlich ihr Geld in Empfang nehmen, denn dieses befindet sich auf dem Grund des Brunnens.


S. Pasternak: [bestürzt]

Was!?

von Klausen: [empört]

Das ist doch ein Scherz? Das ist doch unglaublich.


Van Dusen:

Ist es das wirklich? - Nun, wenn sie anderer Ansicht sein sollten, dann überlassen wir doch die Geldtruhe ihrem Schicksal. Irgendjemand wird sie schon eines Tages bergen.


S. Pasternak:

Nein, nein. Was soll ich machen, Herr Professorr.


Van Dusen:

An dem anderen Ende des Seils ist ein Haken befestigt. Wenn sie diesen den Brunnenschacht hinabgleiten lassen, und den Haken schließlich auf und ab bewegen, dann wird er sich irgendwann in einem der beiden Griffe der Truhe einfädeln. Den Rest brauche ich ihnen nicht zu erklären. - Sie können damit sich als auch das Geld aus der Affäre ziehen, Herr Pasternak. Wünsche ihnen noch viel Freude dabei. [Pasternak grunzt noch etwas Unverständliches vor sich hin und fängt an, das Seil in den Brunnen hinabzulassen]


von Klausen: [völlig perplex]

Was geht hier vor? Wie kommt denn die Kassette in den Brunnen?


Van Dusen: [leise zu Herr von Klausen]

Indem man sie einfach dort hinabgelassen hat.


von Klausen: [verstört fragend]

Wer tut denn sowas?


Van Dusen:

Das fragen sie mich? Ausgerechnet sie, Herr von Klausen? Sie sollten so langsam wissen, wen sie vor sich haben, und daß man einen Professor van Dusen keinesfalls an der Nase herumführt. Merken sie sich das. - Nun, da heute noch einige dringende Termine für mich anstehen, muss ich mich jetzt von ihnen verabschieden, meine Herren. Die Herren Pepr und Brambory möchte ich doch bitten, diesmal etwas mehr Wachsamkeit an den Tag zu legen. Ein weiteres Mal werde ich nicht nach dem Geld suchen.


Pepr: [nickt dem Professor zu]

Wir haben alles im Auge.


Brambory: [macht einen Handgruß zum Professor]

Wir haben alles im Griff.


Van Dusen:

Sehr lobenswert. - Kommen sie, Egon und Hatch. Wir haben Besseres zu tun, als Herrn Pasternak bei seinem kräfteraubenden Kampf am Brunnen zuzusehen.


Hatch als Erzähler:

Einen regelrechten Kampf hat es wirklich noch am Brunnen gegeben. Denn als wir uns langsam vom Platze wegbewegten, konnten wir den Herrn Pasternak noch kräftig in seiner russischen Muttersprache fluchen hören. Er hatte wohl endlich die Kassette mit dem Haken greifen können und war nun drauf und dran, die schwer befüllte Gußtruhe aus dem Brunnen hochzuziehen. Aber wie man weiß, beginnt der Kraftakt erst dann, wenn die Last den Brunnenspiegel verlassen hat und nun das volle Gewicht samt eingedrungenem Wasserinhalt zum Tragen kommt. Dieses Schauspiel haben wir noch einige Zeit lang aus der Entfernung verfolgt. Pasternak mühte sich sage und schreibe ganze drei Minuten ab, die Kassette bis zum Rande des Brunnen hochzuziehen. Danach fiel er wie eine Marionette, deren Schnüre man plötzlich gekappt hatte, vor Erschöpfung in sich zusammen. Dabei war eine gewisse Schadenfreude, die sich in dem Gesicht des Professor merklich abzeichnete, nicht von der Hand zu weisen. Er war mit sich und der Welt zufrieden und strahlte bis über beide Ohren. Egon und ich folgten dann Van Dusen, der auf einmal mit emsigen Schritten durch die Gassen marschierte bis er plötzlich stoppte und auf den Stadplan sah.



Van Dusen:

So, hier muss es sein.


Egon:

Ist das etwa das Haus, in dessen Keller wir die Kassette vorgefunden haben?


Van Dusen:

Ja, Egon, es kann sich nur um diesen Wohnblock handeln, dort wo im ersten Stockwerk die am Fenster stehende Frau ihren Frühjahrsputz bewältigt. [lächelt leise] - Mmh, eine gewisse Änhlichkeit kann nicht verschwiegen werden. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm, nicht wahr, Hatch?


Hatch:

Sie meinen die Frau dort oben? Na ja, ein ziemlich schmächtiges Persönchen, so um die Vierziger. Was soll denn mit der Frau sein?


Van Dusen:

Sperre sie doch ihre Augen auf. Lassen sie ihre Phantasie spielen und stellen sie sich diese Frau etwa zwanzig Jahre jünger vor.


Hatch: [schaut einen Moment genau zur Frau hinauf]

Ah, ja. - Das wird die Mutter von unserer rätselhaften Dame sein. Jetzt sehe ich es ganz genau. Sie haben recht. - Was haben sie nun vor, Professor?

Van Dusen:

Ich werde der Dame einen Besuch abstatten.


Hatch:

Sie wollen sich in die Höhle des Löwen wagen? Ist das nicht ein bißchen riskant?


Van Dusen:

Nicht, wenn ich dieses Unterfangen unverzüglich in Angriff nehme. Bisher dürfte niemanden außer Herr von Klausen und den anderen Herren am Brunnen bekannt sein, daß die Geldkassette nun nicht mehr an dem Orte vorzufinden ist, wo man sie eigentlich anzutreffen vermutet. Sie, mein lieber Hatch, haben heute genug geleistet. Daher werde ich für den Rest des Tages ohne ihre tätige Mithilfe zurechtkommen müssen.


Hatch: [erstaunt]

Hört, hört. Was soll ich denn darunter verstehen?


Van Dusen:

Gönnen sie sich eine Pause, Hatch. Bereiten sie sich ein paar angenehme Stunden, fahren sie zum Savoy-Hotel zurück oder unternehmen sie einen kleinen Spaziergang, eben was ihnen beliebt.


Hatch: [ungläubig]

Sie wollen mich loswerden. Geben sie es doch zu, Professor.


Van Dusen:

Sagen wir es mal so. Für die in den nächsten Stunden anstehenden Aktionen, bei denen ich noch weiteren Personen vorzusprechen gedenke, können sie mir kaum von hilfreicher Unterstützung sein. Dich, Egon, werde ich in etwa einer Stunde bei dir Zuhause aufsuchen. Also halte dich bereit.


Egon:

Sie können sich auf mich verlassen, Herr Professor.


Hatch:

Tja Egon, nehmen wir uns die nächstbeste Droschke. Der Professor hat für Durchschnitts-persönlichkeiten unseren Schlages erstmal keine Verwendung. Gehen wir.


Van Dusen: [aus der Entfernung hört man Van Dusen zu der Frau sprechen]

Verehrte Dame, ist dieses die Anschrift von Viktor Kinsky? Ich wollte meinen alten Bekannten gerne mal wiedertreffen, den ich vor zehn Jahren aus den Augen verloren habe. Kennen sie ihn vielleicht?


Frau Kinsky: [überrascht läßt sie den Putzlappen fallen, der vor Van Dusens Füßen landet]

Viktor? Sie haben Viktor gekannt? - Warten sie, ich bin gleich bei ihnen unten. [läuft nach unten] – Kommen sie doch bitte herein.


Hatch als Erzähler:

Während der Professor von der ziemlich überraschten Frau ins Haus gebeten wurde, machten wir uns in die Altstadt auf. Dort setzte ich Egon ab und ließ mich dann zum Savoy-Hotel bringen, wo ich mir, nach einem kleinen Nickerchen, zum späten Abend noch ein üppiges Mahl gönnen wollte. Der Professor war hingegen voller Rastlosigkeit und steuerte in den folgenden Stunden mal die und mal jene Adresse an. So ließ er sich erstmal wieder bei Egon blicken, übergab ihm einen versiegelten Briefumschlag und machte sich sofort wieder auf, um beim Rayonchef vom Altstädter Polizeikommisariat vorbeizuschauen. Danach folgte ein kurzer Besuch bei seinem Wissenschaftskollegen Doktor Praetorius, worauf sich Van Dusen beim Pulverturm einfand, um den Japaner anzutreffen. Dann gab es wieder eine Zusammenkunft mit Doktor Praetorius, welcher vor der Karls-Universität in Gesellschaft mit einer der dort tätigen Sekretärinnen auf Van Dusen wartete. Als der Professor eine halbe Stunde später wieder die Universität verließ, war noch immer nicht Schluß. Nun suchte er nochmal Herr von Klausen auf, sodaß es bald gegen halb zwölf Uhr ging, als Van Dusen endlich den Heimweg zum Savoy-Hotel antrat. Doch wen er in der Suite antraf, war nicht Hutchinson Hatch, sondern einen Speisentisch auf dem ein Zettel mit einer Nachricht lag. Aber ich greife etwas in der Geschichte voraus. Lassen sie mich von da an weitererzählen, als mir gegen 21 Uhr 45 noch ein paar Appetithäppchen aufs Zimmer gereicht wurden.


Hatch: [es klopft an der Tür]

Herein! [Zimmerservice schiebt einen Wagen mit Speisen herein] – Prächtig, prächtig. Endlich was zum Futtern. Wurde auch langsam Zeit. Mir hängt schon der Magen durch. - Danke, danke. Sie können dann gehen. Abräumen können sie morgen, wenn das Frühstück kommt. Ich will heute nicht mehr gestört werden. [der Zimmerservice verläßt wieder den Raum] - Haha, jetzt kann es gemütlich werden. Mal sehen, was wir da alles haben. Ah, ja, ein bißchen Lammkotelette mit Charlotten, dann ein Schälchen mit Schafsnierenragout. Und was haben wir hier drunter? Mmm, ausgezeichnet, gebratener Zander mit süssem Knoblauch. Und der krönende Abschluß findet sich mit einem leckeren Schokoladen-Pralinenkuchen, wunderbar. [Hatch nimmt sich Messer und Gabel und will gerade beginnen, vom Zanderfilet zu essen, als es erneut an der Türe klopft] - Nein! Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich will endlich in aller Ruhe meine Speisen genießen. Na warte, wenn das wieder der Zimmerservice ist, dem werd´ ich mal was geigen. [Geht zur Tür und öffnet diese] – Ja! Was gibt´s!? - Hoppla? [Hatch sieht sich einer jungen Dame gegenüber] - Was machen sie denn hier? Das ist aber eine schöne Überraschung.


B. Kinsky:

Herr Hatch, welch ein Glück, daß ich sie wiedergefunden habe.


Hatch:

Nein, nein. Das Glück ist ganz auf meiner Seite. Ich hätte nicht gedacht, daß ich sie überhaupt nochmal wiedersehen würde. Aber warum kommen sie nicht herein? Ich bin gerade beim Essen. [B.Kinsky betritt das Zimmer und zieht die Tür vorsichtig heran, während Hatch wieder zu seinen Speisen geht] – Wie darf ich sie nennen, Verehrteste? Meinen Namen kennen sie ja schon.


B. Kinsky: [etwas zögerlich]

Nun, äh, nennen sie mich kurz, Zena.


Hatch:

Zena. Hübscher Name.


B. Kinsky:

Herr Hatch, der Grund warum ich sie nochmal aufgesucht habe, nun ja ... ich habe ein Problem. Ich bin da in eine sehr heikle Sache hineingerutscht. Und nun habe ich Angst, ja Angst vor dem, was noch alles passieren könnte.


Hatch: [macht ein besorgtes Gesicht]

Du meine Güte. Was ist denn bloß geschehen? Sind sie in Etwas verwickelt worden und wissen nun nicht mehr, wie sie aus dem ganzen Schlamassel herauskommen?


B. Kinsky: [geht zum Balkonfenster und schaut hinaus]

Das muß aber unter uns bleiben, Herr Hatch. - Kann ich ihnen vertrauen?


Hatch:

Na ja, ich werde versuchen, mich in ihrem besonderen Fall möglichst neutral zu verhalten. Aber an dem Professor komme ich nicht dran vorbei. Er ist jetzt schon auf ihrer Spur, Zena, und das bedeutet soviel, daß die ganze Geschichte ohnehin ans Tageslicht kommen wird. Da kann ich ebenso die Frage stellen, ob sie nun mir vertrauen können?


B. Kinsky:

Van Dusen? Ist das der kleine Mann gewesen, mit dem sie vor dem Haus meiner Mutter gestanden haben?


Hatch:

Ganz recht, aber lassen sie das niemals den Professor hören, daß sie ihn als kleinen Mann bezeichnet haben. Das wir er nicht so schnell verzeihen können. - Haben sie uns etwa dort gesehen?


B. Kinsky: [lächelt Hatch an]

Ja, ich stand an einer Straßenecke und wollte gerade nachhause gehen, als ich sie erblickte. Sie habe ich sofort wiedererkannt. Daher hielt ich mich erstmal in der Nebenstraße versteckt, bis sie wieder losgegangen sind. Ihr Professor ist ja dann in unser Haus eingetreten, was mir auf einmal ziemliche Sorgen bereitete. Deshalb bin ich ihnen zum Hotel gefolgt.


Hatch:

Das war vor drei Stunden! Warum sind sie nicht gleich zu mir gekommen?


B. Kinsky:

Ich wußte nicht mehr ein noch aus. Ich war völlig ratlos, bis ich mich endlich dazu entschieden habe, das Hotel zu betreten. Und ich glaube, daß ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Sie haben so ein aufrichtiges Gesicht, Herr Hatch, ich werde mich auf meine weibliche Intuition verlassen und ihnen trauen.


Hatch:

Das ist nett, Zena. Also sprechen sie sich ruhig aus. Hutchinson Hatch ist ein guter Zuhörer.


B. Kinsky: [blickt Hatch tief in die Augen]

Sie haben sich wahrscheinlich gewundert, warum ich heute so schnell wieder verschwunden war. Das hat nichts mit ihnen zu tun gehabt.


Hatch:

Da bin ich ja beruhigt.


B. Kinsky: [fixiert Hatch mit ihrem plötzlichen lasziven Blick]

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich gerne auf sie gewartet, doch ich mußte dringend fort. Sonst hätte ich Kopf und Kragen riskiert. Ich hoffe, sie nehmen mir das nicht übel, Herr Hatch?


Hatch:

Nicht doch, warum sollte ich denn nachtragend sein?


B. Kinsky:

Jetzt werden sie sich natürlich fragen, was ich denn so dringend zu erledigen hatte. [der laszive Blick ändert sich in einen traurigen Ausdruck]


Hatch: [wundert sich über den Gesichtsausdruck]

Was ist, Zena? Kann ich ... [plötzlich fährt hinterrücks eine Hand mit Wattebausch vor das Gesicht von Hatch] ... hmmmpff, Hilf....


Hatch als Erzähler:

Der plötzlich traurige Gesichtsausdruck von Zena hätte mich stutzig machen sollen, da just in diesem Moment jemand von hinten angeschlichen kam und mir einen getränkten Wattebausch vor Nase und Mund drückte. Statt Luft zu bekommen, drang ein unangenehm scharfer Geruch durch meine Atemgänge, der mich im Nu von den Beinen holte. Man hatte mich auf ganz plumpe Weise narkotisiert. Da war Hutchinson Hatch wieder mal auf die schönen dunkelbraunen Augen einer Frau hereingefallen. Wär auch zu schön, um wahr zu sein. - Besinnunglos glitt ich langsam zu Boden und verabschiedete mich erstmal für die nächsten Stunden von der Geschichte. Die setzt nun mit dem Erscheinen des Professor fort, der kurz nach halb zwölf Uhr in die Suite eintrat.


Van Dusen:

Hatch? Wo sind sie denn Hatch? - [leise zu sich selbst murmelnd] - Merkwürdig, keiner hier? Noch merkwürdiger ist jedoch der Umstand, daß hier auf dem Rolltisch ein Essen aufgedeckt ist, aber nichts angerührt wurde. Das sieht meinem Hatch überhaupt nicht ähnlich. Was hat das zu bedeuten? - Aha, und was ist das? - Ein Zettel, der direkt neben einer der Speisenglocken liegt. Offensichtlich eine Nachricht. - [faltet den Zettel auseinander und und schnüffelt an dem Papier] -Dieser Duft hier am Papier. Würde mich nicht täuschen, wenn es sich hierbei um das Parfum der Marke Jicky von Guerlain handelt. Dieser leichte Hauch von Vanille, sowie die winzigen Spuren von Rosmarien in einer insgesamt holzigen Note eingebettet, unverkennbar Jicky.- Eine äußerst kurz abgefasste Botschaft, die an mich gerichtet ist.. [liest vor] „Professor Van Dusen, seien Sie gewarnt! Halten Sie sich aus der Sache heraus, sonst drehen wir ihren Freund Hatch wirklich noch durch die Mangel!“ - Mmh, eine angekündigte Drohung gegen Hatch, um mich einzuschüchtern. Allem Anschein nach hat sich das junge Fräulein Kinsky hier eingefunden, um dem armen Hatch den Kopf zu verdrehen. Was wird sich wohl abgespielt haben? Ich werde mich erstmal umschauen, ob etwas Hilfreiches zu entdecken ist. - So,so. Hier auf dem Teppich hat sich ein kleines Stückchen Watte festgetreten. Alles deutet damit auf eine Betäubung hin. - Mmh, sollte Hatch unfreiwillig eine Dosis Anästhetikum verabreicht worden sein, dann stellt sich die Frage, wo man ihn hingebracht haben mag. Das Hotel wird er sicherlich nicht verlassen haben, das wäre etwas umständlich gewesen. - Nein. Was stand doch auf dem Zettel geschrieben? ... Hatch durch die Mangel drehen? Wobei das Wort Mangel unterstrichen wurde. - Aah,ja. Das muß es sein. Auf, Augustus! Wollen wir den geschundenen Hatch nicht zu lange warten lassen. [Van Dusen greift zum Telefonhörer] – Hallo, Suite B, Van Dusen am Apparat. Verbinden sie mich bitte mit dem Concierge von der Rezeption, Danke. ... Ja, hier spricht Van Dusen. Können sie mir Jemanden hochschicken, der mir den Weg zum Wäscheraum zeigen kann? Bitte sofort, es eilt! Ich werde vor der Tür warten, auf Wiederhören.


Hatch als Erzähler:

Nachdem Van Dusen um einen Hotelpagen gebeten hatte, der dann unverzüglich die Suite aufsuchte, ging es mit Tempo zum Wäscheraum des Hotels. Hier fand er seinen etwas benebelten Assistenten mitten in einem Berg von gebrauchter Bettwäsche wieder neben dem sich ein riesengroßer Schrankkoffer gesellte.


Van Dusen:

Da sind sie ja, mein lieber Hatch. [tätschelt die Wangen von Hatch, um diesen wach zu bekommen] – Aufwachen! Kommen sie wieder zu sich, Hatch! - Ah, das Chloroform hat eine ziemlich starke Wirkung gezeigt. [Van Dusen bricht eine Glasröhre mit Ammoniak durch, die er seiner schwarzen Tasche entnommen hat, um sie Hatch vor die Nase zu halten] - Das Ammoniak wird sie wieder zur Besinnung bringen, Hatch. Ja, sehr schön.


Hatch: [kommt zu sich]

Oh, verdammt! Ist mir schlecht. - Nehmen sie doch dieses beißende Zeug weg, Professor. Wo bin ich denn nur wieder gelandet? Oje, Oje.


Van Dusen:

Raffen sie sich auf, Hatch. Gehen sie ein paar Schritte, damit sie wieder klar werden. Am besten begeben sie sich sofort hinunter zur Rezeption und lassen sich einen starken Kaffee aufbrühen. Sobald es ihnen besser geht, kommen sie wieder zu unserer Suite zurück. Ich habe noch einige Untersuchungen mit meinem Miniturlaboratorium durchzuführen und muß mich sofort an die Arbeit machen. Also bis gleich, Hatch.


Hatch: [macht große Augen, als Van Dusen wieder verschwindet]

Das ist alles, was ihnen hierzu einfällt. Man hat mich überfallen, hat man mich! - [resignierend]... Ja, was soll ich reden, wenn doch keiner zuhört. [Hatch steht etwas träge und mühevoll auf] – Uff, selbst ist der Mann. Na, mal sehen, ob man mir jetzt noch einen Kaffee zubereiten wird.


Hatch als Erzähler:

Gedämpften Schrittes begab ich mich ins Foyer des Hotels und bestellte mir dort einen schwarzen Kaffee. Ein bißchen wunderte man sich schon, daß ich so kurz vor Mitternacht noch auf eine extrastarke Portion Koffein bestehen wollte. Als ich dieses bittere Gesöff endlich heruntergeschluckt hatte, folgte ich der Anweisung des Professors und trabte wieder zurück zur Suite. Dort war Van Dusen schon eifrig dabei, seine Analysen und Experimente durchzuführen. Er ließ sich auch nicht im geringsten stören, als ich wieder den Raum betrat. Völlig beschäftigt mit dem Messen, Filtrieren und Mikroskopieren von irgendwelchen Substanzen, nahm er nicht die leiseste Notiz von mir. Ich begnügte mich noch mit dem Pralinenkuchen, da die anderen Speisen mittlerweile kalt geworden waren und wollte mich dann ins Bett schlafen legen. Doch nach dem Kaffee, war an Einschlafen nicht mehr dran zu denken. Ich wälzte mich von einer Seite zur anderen und konnte kein Auge zu machen. Zudem klimperte der Professor noch sehr lange mit seinen Reagenzgläsern herum, wobei gelegentlich noch ein Rauschen vom Bunsenbrenner zu hören war. Bis tief in die Nacht hinein ging dieses nerventötende Laborwerkeln bis endlich gegen halb vier Uhr morgens auch der Professor die Nachtruhe für sich beanspruchte. Trotzdem konnte ich danach immer noch nicht einschlafen. Hundertschaften von Schafe, Zwerge und Pinguine zählte ich im Geiste, aber es war wie verhext. Daher laß ich noch ein paar Gesänge aus Dantes „Commedia“, womit es dann vier, fünf und schließlich sechs Uhr wurde. Jetzt, da ich langsam schläfrig wurde, erwachte der Professor wieder und war putzmunter und voller Tatendrang.


Van Dusen:

Einen schönen guten Morgen, Hatch. Sie sind schon wach?


Hatch:

Ich bin noch wach. [gähnt] - Uaah, endlich werde ich müde. Dann mal ab in die Koje. [Hatch will sich ins Bett legen]


Van Dusen:

Sie wollen sich wieder schlafen legen? Ausgeschlossen! Der Fall ist so gut wie gelöst, mein lieber Hatch. Als mein Assistent und Chronist dürfen sie doch bei meinem Aufklärungsvortrag nicht fehlen.


Hatch:

Es ist sechs Uhr früh, Professor! Keine Chance. Ich bin viel zu kaputt.


Van Dusen:

Dann finden sie sich spätestens bis um elf Uhr beim Landhaus meines Kollegen Doktor Praetorius ein. Die Anschrift lasse ich bei der Rezeption hinterlegen. Ich werde nicht auf sie warten, Hatch. Denken sie daran! [Van Dusen kleidet sich an und verläßt die Suite]


Hatch: [stöhnt]

Elf Uhr! - Ist denn das zu fassen. [geht zum Telefon und ruft den Service an] – Hatch, Suite B! Lassen sie mich exakt um 10 Uhr fünfzehn wecken. Bis dahin will ich nicht gestört werden. Okay? [knallt den Hörer wieder auf] – Ab in die Federn. [Hatch läßt sich ins Bett fallen und schläft sofort ein]


Hatch als Erzähler:

Während ich den Schlaf der Gerechten hielt, zog es den Professor in die Räumlichkeiten der Karls-Universität. Hier traf er mit einigen Gelehrten aus dem Bereich der Naturwissenschaften zusammen und ließ sich das eine oder andere an neuerlichen Errungenschaften demonstrieren, wobei er durch eine Vielzahl von Laborwerkstätten geführt wurde. Wenn eine so berühmte Kapazität wie Professor van Dusen an einer Universität auftaucht, dann kommt jeglicher Lehrbetrieb zum Erliegen. Scharen von Studenten und Dozenten sammelten sich an, wie Bienen, die sich um eine Königin tummeln. So ungefähr müssen sie sich das muntere Treiben vorstellen, wenn der Professor durch die historischen Hallen der altwürdigen Karls-Universität wandelt. - Aber zurück zu mir. Nachdem ich pünktlich geweckt worden war und im Foyer des Hotels schnell noch ein Hörnchen runterschlang, machte ich mich auf den Weg zu dem Landhaus, wo Van Dusen und Doktor Praetorius bei einem Tee saßen.


Hatch: [klopft an der Tür des Landhauses]

Hallo! Jemand im Hause?


Van Dusen: [öffnet die Tür]

Ah, Hatch! Sie kommen gerade zur rechten Zeit wie ich sehe. Herr von Klausen ist ebenfalls schon im Anmarsch. Kommen sie herein, meine Herren. Ich will ihnen meinen alten Freund Ronald Praetorius vorstellen, den ich schon seit meiner Jugendzeit kenne. [Hatch und von Klausen begrüßen Dr. Praetorius]


R. Praetorius: [sprudelt vor Eloquenz]

Sie müssen wissen, daß Augustus und ich ein Jahrgang sind. Ganz zu Beginn unserer Studienzeit hatten wir noch einige der Vorlesungen gemeinsam bestritten. Doch zeigte sich schon bald, daß Augustus eine viel größere Hörerschaft besaß, als unsere renommierten Professoren und lehrmeisterischen Altvordern. Eigentlich ungerecht, wenn man bedenkt, daß ich überwiegend die gleichen naturwissenschaftlichen Fächer belegt hatte wie Augustus. Irgenwie muß er sein Wissen mit der Muttermilch aufgesogen haben.


Van Dusen: [antwortet mit einem Anflug von Arroganz]

Mein guter Ronald, bekanntlich ist die Kraft der Lehre selten von großer Wirksamkeit, außer unter jenen glücklichen Umständen, da sie, wie eben in meinem Fall, annähernd überflüssig erscheint.


R. Praetorius:

Ja, Ja, so kenne ich dich, Augustus. Hast dich in all den Jahren kein bißchen geändert. [zu Hatch und von Klausen] – Aber kommen sie doch in mein kleines Domizil herein. Setzen sie sich an den Tisch. Wenn einer Tee und Cremetörtchen möchte, bedienen sie sich einfach. Es ist alles gedeckt.


Hatch:

Ich dachte, wir würden jetzt zur Auflösung des Falles kommen.


Van Dusen:

Das werden wir auch, Hatch. Diesmal werden sie meinen Ausführungen in einer etwas entspannteren Atmosphäre lauschen dürfen. - Da wir soweit vollzählig sind, will ich nun mit der Aufklärung um die rätselhaften Begebenheiten des gestrigen Tages beginnen. [alle Anwesenden setzen sich an den Tisch]


Hatch: [greift zum Kuchen]

Mmh, lecker. - [ißt genüßlich ein Stück von den Törtchen auf] - Die Cremetörtchen sind wirklich ausgezeichnet. Meine Empfehlungen an den Koch oder an die Köchin.


Van Dusen:

Hatch! - [Räuspert sich] – Also fangen wir an. Und zwar werde ich in der Art und Weise berichten, wie es sich in der Regel auch gehört, eine Geschichte vorzutragen. Nämlich, präzise, detailliert und vor allem ...


Hatch: [unterbricht van Dusen]

... von Anfang an.


Van Dusen:

Richtig, Hatch. Dazu gehört es sich aber auch, mich bei meinen weiteren Erläuterungen nicht mehr zu unterbrechen. [van Dusen holt zum Aufklärungsmonolog aus] - Der vorliegende Fall nimmt zeitlich gesehen schon vorgestern Nacht, also am Sonnabend den 16.April, seinen Anfang, als ich und mein Begleiter Hatch zu später Stunde am Kaiser-Franz-Josephs-Bahnhof eintrafen. Dort wurden wir Zeugen, als sich eine elegant gekleidete Dame sowie ein im Verborgenen befindlicher Mann, es sich zum Ziel nahmen, ein Kutschfahrzeug mit einem Noniusz-Gespann zu entführen. Dieses geschah nach der altbewährten Methode, indem eine der Personen, in dem Fall war es unsere rätselhafte Dame, den Besitzer des Fuhrwerkes ablenkte und vom Ort des Geschehens lockte. Durch ein verabredetes Signal, eben durch ein vorgespieltes Niesen oder Hüsteln, kam eine zweite Figur ins Spiel, welche kuzerhand auf den Kutschbock sprang und sofort in die Dunkelheit der Nacht hinausritt. Daß jener Vorfall schließlich in Verbindung mit dem Überfall von gestern stehen sollte, ergab sich einmal aus der Tatsache, da bei der Entführung eines kleinen Jungen, was lediglich als ein weiteres Ablenkungsmänover gewertet werden mußte, ebenfalls eine Noniusz-Stute beteiligt war. Dieses Pferd wieß genau dasselbe Brandzeichen vor, wie ich es schon beim gestohlenen Gespann feststellen konnte. Des weiteren begegnete Mr. Hatch einer vornehm gekleideten Dame unweit des Wenzelsplatz, die den verschreckten Jungen zurückbrachte und deren Beschreibung genau auf die Person vom Bahnhof passen sollte. Laut der Beschreibung des Kutschenbesitzers besaß jene Dame ein Taschentuch mit den Initialen B.K., womit uns die Anfangsbuchstaben vom Namen bekannt waren. - Was sollte die vorgetäuschte Entführung bezwecken? Und um wen handelt es sich bei dem noch sehr jungen Diebespaar? - Stellen wir diese Frage jedoch für eine kurze Zeit zurück. Ich werde jetzt zu der eigentlich geplanten Tat Stellung nehmen und dazu die Perspektive wechseln. Hin zum Ort des verübten Überfalls, nämlich einem speziell für interne Gespräche hergerichteten Konferenzraum, wo sich Herr von Klausen sowie der Japaner Herr Tskugagoshi und der im Russischen beheimatete Herr Pasternak zu einem geheimen Treffen eingefunden hatten. Die Unterredungen, oder genauer gesagt, die Verhandlungen zwischen den Herren sollten um 8 Uhr 30 beginnen, wobei Herr von Klausen als Vermittler zwischen den beiden anderen Herren auftrat.


von Klausen:

Ich hoffe, sie lassen diesen Teil in ihren Erläuterungen aus, Herr Professor van Dusen. Dieses Treffen soll auch weiterhin als Geheimsache eingestuft werden. Nichts gegen ihren geschätzen Gastgeber, Herr Praetorius, aber sicher ist sicher. Ich muß Dritten gegenüber leider ein gewisses Maß an Mißtrauen entgegenbringen.


Van Dusen: [sehr ernst zu Herr von Klausen]

Sie werden mir nicht den Mund verbieten, Herr von Klausen. Ich habe ihnen schon gestern unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß niemand, wohlgemerkt niemand es wagen sollte, mich zu unterschätzen. [von Klausen schluckt einmal und verharrt dann in Stille] - Kurzum, es ging bei diesem Treffen um einen Informationsaustausch, bei dem Herrn Pasternak wichtiges kriegsstrategisches Detailwissen übertragen werden sollte, für die er im Gegenzug eine Kassette mit Gold- und Silbermünzen im Werte von 300.000 Kronen bereitstellte. Ein zusätzliches Vermittlungshonorar von 100.000 Kronen sollte an Herr von Klausen gehen, der hier die Interessen der Stadt zu vertreten hatte.


R. Praetorius: [pfeift]

Eine stolze Summe.


Hatch:

Zu dieser Erkenntnis sind dann wohl auch Andere gekommen, sonst ...


Van Dusen: [unterbricht Hatch vehement]

Hatch! Seien sie doch still! Sie verlassen die von mir konstruierte Vortragsplattform meiner kriminologischen Ausführungen! Ich bin der Referent, sie der Assistent! Also lassen sie mich endlich ohne weitere Störungen ihrerseits fortfahren. [Van Dusen regt sich wieder ab] – Nun, 400.000 Kronen befanden sich zu dieser Zeit in dem Konferenzraum. Aus diesem Grunde waren auch zwei Polizeibeamte vor dem Gebäude im Einsatz, um einen ungestörten Ablauf bei den Verhandlungen zu garantieren. Das wußten natürlich die Täter, und daher ersannen sie einen sehr ausgeklügelten Plan, um sich des Geldes zu bemächtigen. Ich rekonstruiere nun den zeitlich minutiös geplanten Verlauf des Überfalls. Ausgangspunkt ist der Wenzelsplatz des gestrigen Tages um etwa 9 Uhr 25. Dort wartete die berliner Familie Küster auf einen Herren namens Franz Martinic, welcher sich für eine Stadtbesichtigung anbot, aber zum verabredeten Zeitpunkt noch nicht erschienen war. Stattdessen kam es zu der Entführung des kleinen Jungen, als ein schwarzgekleideter Reiter auftauchte und die ahnungslose Familie Küster mit seinem dreisten Vorgehen überraschte. Dieses ereignete sich alles nicht unweit vom Gebäude, wo die beiden Polizisten Pepr und Brambory postiert waren. Konsequenz war, daß einer der Polizeibeamten durch den aufkommenden Tumult auf dem Platz dazu bewogen wurde, dem Entführungsfall nachzugehen. Daher nahm Herr Brambory, ebenso wie der Vater des Kindes, sofort die Verfolgung auf und rannten dem Reiter hinterher. Damit war nur noch eine Wache am Gebäude verblieben. Jetzt galt es den nächsten Schritt zu tun, und den Polizisten Pepr auszuschalten. Daher fuhr sofort, nachdem der Beamte Brambory fortgelockt worden war, eine Kutsche vor. Hier nehme ich an, daß eine sich im Coupe befindliche Person den Polizisten Pepr zu sich bat, um ihn über die große Aufruhr auf dem Platz zu befragen. Pepr näherten sich guten Glaubens dieser Person und wurde plötzlich mittels Chloroform betäubt und in den Wagen gezogen. Hier wurden dem bewußtlosen Pepr die Mütze, das Hemd und die Jacke genommen mit dem sich dann jene Person ankleidete, die ab sofort den Platz des Polizisten vor dem Gebäude einnahm. Die Beschreibung der Szenerie wurde mir durch die Aussage des kleinen Mädchens Mala bestätigt, die aber den plötzlichen Rollentausch überhaupt nicht bemerkt hatte. Denn so sollte es dem Plan entsprechen, daß der Polizist nunmehr durch ein Bandenmitglied substituiert würde. Die Kutsche fuhr wieder an und bog um die nächste Ecke herum, um dort in einer stillen Gasse geparkt zu werden. Dieses muß um circa 9 Uhr 30 gewesen sein, genau zu dem Zeitpunkt, als ich und Mr. Hatch dem Entführer ansichtig wurden, der an uns vorbeiritt. Doch der Reiter kehrte alsbald wieder in die Nähe des Tatorts zurück und setzte den kleinen Jungen ab. Nun trat die junge Dame wieder ins Geschehen ein und brachte den Kleinen zur Familie zurück, während der maskierte Reiter zu dem abgestellten Kutschwagen gelangte. Er stieg in den Wagen und die Kutsche bewegte sich wieder bis vor das Portal des Gebäudes, wo der falsche Polizist wartete. An dieser Stelle half mir die Beobachtung von Egon, der berichtete, daß sowohl ein Polizist als auch ein maskierter Mann das Gebäude betraten, welche mit eigentümlichen Gerätschaften ausgerüstet waren und die sie auf dem Rücken geschnallt hatten. Die beiden Eindringlinge betraten den Konferenzraum, spritzten aus ihren Sprühbehältern, die sonst bei Pflanzenschädlingen zum Einsatz kommen, eine überaus unangenehme Substanz in die Gesichter der Herren.


R. Praetorius:

Ganz schön raffiniert inszeniert. Aber warum der Aufwand mit den Sprühapparaten? Hätten schlichte Schußwaffen nicht das Gleiche bezweckt?


Van Dusen:

Das ist ein sehr interessanter Gesichtspunkt, der auch mir in den Sinn kam, bis ich zu dem Schluß gekommen bin, daß gerade solch ein Vorgehen gewünscht war, um die Betroffenen für einige Minuten matt zu setzen, genauer gesagt, blind werden zu lassen. Denn sie sollten nicht sehen, was in der ganzen Zeit, in der die Herren auf dem Boden kauerten, wirklich geschehen ist.


von Klausen:

Was ist schon geschehen. Die Täter haben die Kassette und die Aktentasche genommen und sind geflohen.


Van Dusen:

In der Tat, so hat es sich zugetragen. Aber warum haben die Täter so lange damit zugebracht, sie in Schach zu halten? Wäre es doch ratsam gewesen, sich sofort und ohne eine weitere Minute zu vergeuden, vom Tatort zu entfernen? Stattdessen verließ unser schwarzgekleideter Entführer kurz nach 9 Uhr 35 wieder das Gebäude, ladete die Sprühbehälter in den Wagen und löste den kutschbockführenden Herrn Martinic ab, der dann etwas verspätet zu seinem verabredeten Treffpunkt eilte, wo die Familie Küster mittlerweile wieder froh war, den verlorenen Sohn in ihren Reihen zu wissen. Der bewußtlose Pepr wurde vorher noch aus dem Wagen gezogen und im Gebäude abgelegt. Da die Kutsche in den nächsten Sekunden direkt an mir vorbeifuhr, konnte ich auch den einstigen Entführer wiedererkennen, welcher noch seine Sporen an den Stiefeln trug, die er bei der Entführung des Jungen einzusetzen wußte. Bei dem Herrn Martinic handelt es sich nebenbei gesagt, um den anfangs erwähnten Kutschendieb vom Bahnhof. Die von mir wahrgenommene Narbe über dem linken Auge deckt sich exakt mit der Personenbeschreibung, die mir Herr Küster zuteil werden ließ, als er mir das Aussehen seines unpünktlich erschienenen Stadtführers mitteilte.


Hatch:

Und wo ist der falsche Polizist abgeblieben?


Van Dusen:

Natürlich dort, wo auch Geld und Kassette entschwunden sind, mein lieber Hatch. Er nahm die Aktentasche und die Truhe in den Waschraum, stellte die Kassette auf den Fenstersims ab, kletterte nach draußen und zog die schwere Last wieder von dort herunter, wobei sich die Standfüße auf dem Sims markierten. Nun war nur noch dafür zu sorgen, daß die gestohlene Beute möglichst schnell einem sicheren Versteck zugeführt würde. Hinter dem Gebäude wartete nun die Dame, welche den Schauplatz der Entführung mittlerweile verlassen hatte, da sie den kleinen Jungen unseren etwas leichtgläubigen Hatch überlassen konnte.

Hatch:

Ein ziemlich gerissenenes Luder, diese Zena, kann ich nur sagen.


Van Dusen:

Hatch! - Um eine überaus schnelle Flucht anzustreben, wählte man den Weg über den Kanalisationschacht, der sich ganz in der Nähe befinden sollte. Unsere Mittäterin hatte zu diesem Zwecke eine Korbtasche mitsichgeführt, in der sich neben einer Pelerine auch noch eine Fackel befand, mit der die Flucht durch die dunklen Gänge der unterirdischen Kanäle beginnen konnte. Da ich den Fluchtplan durchschaut hatte, war es mir im nachhinein auch nicht schwergefallen, in der Gesellschaft von Mr. Hatch und des jungen Egon die Wege abzuschreiten, welche von den Beiden zuvor genommen wurden. An einer Stelle der Kanalisation traf ich schließlich auf eine frisch verfugte Mauerwand hinter der sich schließlich die Geldkassette anfinden sollte.


von Klausen:

Die Sache mit dem Brunnen haben sie also nur wegen jenes übelgelaunten Herr Pasternak geplant, oder irre ich mich da?


Van Dusen:

Sicherlich kam mir die Gelegenheit gerade zupass, um Herrn Pasternak etwas in Schwitzen kommen zu lassen, aber war dies nicht der alleinige Beweggrund, der mich dazu bewog, den Ort des Versteckes dorthin zu verlagern. Ich wollte ganz in Ruhe in Erfahrung bringen, wer letzlich alles hinter diesem Überfall stecken sollte. Und damit wäre ich dann bei der Aufdeckung aller beim Überfalls beteiligten Personen.

Die Lösung des Falles war eigentlich schon gestern mit der Entdeckung der Geldkassette gegeben. Denn als die Diebe als Versteck das Kellergewölbe einer gewissen Frau Kinsky wählten, die vom Aussehen her ganz offensichtlich jener Täterin ähnelte und somit in verwandtschaftlicher Beziehung stehen mußte, hatten sie damit einen sehr leichtsinnigen Fehler begangen. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt sofort die Polizei alarmiert, um eine Durchsuchung des Hauses in die Wege zu leiten, wären neben der Geldkassette auch noch andere unangenehme Wahrheiten ans Licht gekommen. Ich wollte aber nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen, womit es unvermeidbar zum Eklat gekommen wäre. Ich wählte stattdessen einen eleganteren Weg, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Es war mir nunmehr möglich gewesen, mich als einen Bekannten aus früheren Tagen auszugeben, der seinen alten Freund Viktor Kinsky wiedersehen wollte, um somit Zutritt in das Vertrauen der Frau Kinsky zu erlangen. Mit den paar Randdaten der Person Viktor Kinsky, von dem ich aus den Briefen des Kellers erfahren hatte, versuchte ich einen Gesprächsfaden bei meiner Gastgeberin zu finden, was mir bei der sehr gesprächigen Frau Kinsky nicht besonders schwer fiel. Irgendwann richtete ich das Thema auf die Ausschreitungen dieser Stadt aus dem Jahre 1897. Da sich im Keller ein Zeitungsausschnitt von den Unruhen angefunden hatte, mußte es sich aller Wahrscheinlichkeit um etwas Bedeutsames handeln. Und in der Tat, wie mir sodann bestätigt wurde. Viktor Kinksky kam als einer der an den Volksaufmärschen Beteiligten, bei einer der vielen Festnahmen ums Leben. Seitdem wohnt die Witwe Kinky allein mit ihrer Tochter Bozena in jenem Hause.


Hatch: [verblüfft]

Bo-zena? - Dann hat sie mir ja fast ihren richtigen Namen gestanden. Da bin ich aber baff. - Bozena Kinsky.


von Klausen:

Und welche anderen Informationen vermuteten sie sonst noch, bei der Witwe Kinsky herauszubekommen?


Van Dusen:

Im Wesentlichen doch die Tatsache, daß der früh verstorbene Herr Kinsky der Anhänger einer Freiheitsbewegung oder einer Widerstandgruppe gewesen ist, die gegen die Unterdrückung der Tschechen aufbegehrte. Dieses bestätigte mir auch die in einem alten Reisekoffer verstaute Fahne in den tschechischen Nationalfarben Weiß und Rot. Aber wechseln wir kurz zur Person Franz Martinic, welcher mir anfangs durch die Aussagen des Herrn Küster beschrieben wurde. Bei ihm handelt es sich wirklich um den Sohn eines Kaufmannes, welcher Gewürze und Zucker auf dem Warenmarkt vertreibt. Dieses konnte durch Frau Kinsky belegt werden, weil besagter Herr Martinic ein langjähriger und gerngesehener Freund des Hauses ist und des öfteren Besuche abstattet. Damit hätten wir inzwischen zwei Personen identifiziert. Wer sind nun die anderen Protagonisten bei der Umsetzung des Überfalls gewesen? - Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, mußte ich lediglich den Rayonchef vom Polizeikommisariat des Altstädter Distriktes aufsuchen. Hier ließ man mich einen Blick in die Akten gewähren, die sich in den letzten Novembertagen des Jahres 1897 angesammelt hatten. Hier spekulierte ich darauf, den Namen von Viktor Kinsky wiederzufinden, was mir auch gelungen ist. Denn am 30. November stellte die vierte Kompanie vom dritten Infanteriebataillone unter dem Kommando des Generalmajors von Molnar eine Widerstandgruppe unter Gewahrsam, die sich vom Wenzelsplatz aus in die Wassergasse flüchtete. Dabei kam es zu einem Handgemenge und letzlich zu einem bedauerlichen Vorfall, bei dem Viktor Kinsky Opfer eines Bajonettstiches wurde und noch am selben Ort seiner Verletzung erlag.


Hatch:

Langsam wird die Geschichte interessant. Da steckt bestimmt ´ne Menge mehr dahinter. Wahrscheinlich steht dieser Viktor Kinsky sogar mit unseren jetzigen Bandenmitgliedern im Zusammenhang. Würde mich nicht wundern. Als Reporter habe ich eine Spürnase für sowas.


Van Dusen:

Ihre Nase, mein lieber Hatch, hätte sie tatsächlich nicht im Stich gelassen. Denn welche weiteren Namen konnte ich aus den Aktenvermerken entnehmen? [van Dusen schweigt sich erstmal aus]


R. Praetorius:

Na? Spann´ uns doch nicht so auf die Folter, Augustus. Breche dein Schweigen.


Van Dusen:

Im Protokoll tauchte der Name von Franz Martinic auf, welcher schon als Siebzehnjähriger ein sympathisierendes Mitglied der Gruppe war. Außerdem wurde jemand namens Mikolas Kucera schriftlich erfaßt und, sie werden nun staunen meine Herren, auch ein Bohumil von Klausen war mit von der Partie gewesen.


Hatch:

Herr von Klausen? Olala, sag´ ich da nur. Da tut sich wohl eine dunkle Vergangenheit wieder auf. Kein Wunder, daß sie die Sache ohne viel Aufhebens unter den Teppich kehren wollten. Man wird nicht gerade gerne an die alten Ausrutscher des Lebens erinnert.


Van Dusen:

Und was dazu kommt, Herr von Klausen war nicht nur ein Mitläufer dieses aufständischen Quartetts, er ist sowohl Kopf als auch der Begründer dieser Gruppe gewesen, der zur damaligen Zeit noch das Amt eines Filialleiters der Creditanstalt am Graben bekleidete. Doch wurde er nach jenem skandalösen Vorfall fristlos entlassen. Anscheinend hat sich Herr von Klausen in den Folgejahren gänzlich aus dem Finanzgeschäft zurückgezogen und sich den politischen Interessen zugewandt, wobei ihm höchstwahrscheinlich die guten und weitreichenden Kontakte im Untergrund sehr bald zu einer einflußreichen Stellung verhelfen sollten. Sonst hätte er es kaum bis zum Stadtrat schaffen können. Ist das nicht so, Herr von Klausen?


von Klausen:

Ich gestehe. Ihnen bleibt wohl gar nichts verborgen, Herr Professor van Dusen. - Meine Vergangenheit kann ich leider nicht mehr ausradieren. Es war eben eine kleine Jugendsünde, die sich aber in meinem Lebenslauf als äußerst unvorteilhaft bemerkbar machen sollte. Irgendwann sagte ich zu mir, daß Angriff die beste Verteidigung sei, worauf ich sämtliche Beziehungen spielen ließ, die mir zur Verfügung standen, und womit ich ein entscheidendes Druckmittel gegen bestimmte honorige Personen in der Hand hielt . Und siehe da, mein Karrierefluß schwemmte mich sogar bis in das Stadverordnetenkollegium. Aber wer sollte mir das übelnehmen? Ich habe mir seitdem nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Sie können mir nichts vorwerfen.


Van Dusen:

Herr von Klausen, ich habe sie nicht an diesen Ort zitiert, um ihnen Vorhaltungen oder Vorwürfe zu machen. Meine Aufgabe besteht darin, alle notwendigen Wahrheiten aufzudecken, die im gesamtheitlichen Rahmen des Falles von Interesse sind, und eine lückenlose Beweiskette folgen zu lassen, damit jene Affäre allen hier Anwesenden, ja sogar meinen Begleiter Mr. Hatch, am Ende in glasklarer Transparenz erscheint.


von Klausen:

Wenn sie mich kurz mal entschuldigen. Ich muß für eine Minute auf die Terrasse treten. Mir ist ziemlich warm geworden und muß ein bißchen frische Luft schnappen.


Hatch:

Das kommt davon, wenn man sich mit dem Professor anlegt. Man bezeichnet ihn nicht ohne Grund als „Die Denkmaschine“. Lassen sie sich das ein Lehre sein.


Van Dusen:

Hatch! - Gut, Herr von Klausen, inhalieren sie meinetwegen für einen Moment etwas von der frühlingshaften Luft. Ich werde in genau einer Minute wieder fortfahren und alle noch offenen relevanten Fakten zusammentragen, damit wir endlich zu einem Abschluß kommen. [von Klausen tritt auf die Terrasse und tupft sich mit einem weißen Taschentuch die Stirn, welches er danach demonstrativ ausschüttelt]


R. Praetorius:

Mr. Hatch, noch ein Stück von den Törtchen gefällig? Ich sehe ihnen doch an, daß sie einem kleinen Imbiss nicht ganz abgeneigt wären. Greifen sie zu, wenn es ihnen schmeckt.


Hatch:

Danke, da brauchen sich mich kein zweites Mal fragen. Diese leckeren Schnitten schmecken einfach vorzüglich. [Hatch mampft ein Stück] - Wirklich delikat und so schön sahnig.


R. Pratorius: [leicht herausfordernd zu van Dusen]

Nur zu schade, daß mein alter Freund Augustus so überaus diszipliniert ist und die schmackhaften Gaben seines Gastgebers so verschmäht. Kenner, wie deinen Begleiter Mr. Hatch, wissen meine lukullischen Süßspeisen zu schätzen.


Van Dusen:

Mein guter Ronald, auch dir wird es nicht gelingen, meine prinzipielle Abneigung gegen die Zügellosigkeit der Nahrungsmittelaufnahme in Frage zu stellen. Ich halte mich strikt an die für meine Person geeigneten und individuell ausgewogenen Essenszeiten. Nicht mehr und nicht weniger.


Hatch:

Was soviel heißt, wie ziemlich selten mal etwas weniger, und ziemlich oft mal gar nichts.


Van Dusen: [übergeht die letzte Äußerung von Hatch]

So, meine Herren, da Herr von Klausen mit seiner Frischluftaktion fertig ist, können wir auch wieder fortfahren. - Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, die Widerstandsgruppe, deren Mitglieder uns jetzt geläufig sind. Nun, in welchem Zusammenhang könnten die einst überzeugten Patrioten mit unserem jetzigen Fall stehen? Dieses liegt natürlich auf der Hand, da sowohl Franz Martinic als auch Bozena Kinsky durch die ihnen zugeteilten Rollenspiele peripher mit dem Überfall involviert sind. Wie ich an anderer Stelle schon einmal erwähnte, fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Und zwar meine ich damit die politische Überzeugung und das kämpferische Engagement von Viktor Kinsky, dessen Erbe nun ebenso tatkräftig durch seine Tochter vertreten wird. - Gehen wir ganz der Reihe nach weiter. Als nächste Person nannte ich ihnen den Namen Mikolas Kucera. Könnte dieser Mann ebenfalls hinter dem vollführten Komplott stecken? Dazu hätte ich jene Person erstmal ausfindig machen müssen, doch in Anbetracht des damit verbundenen Zeitaufwandes war ich eher dazu geneigt, mich anderen wichtigen Dingen zu widmen. Aber beim gestrigen Besuch meines Gastgebers Praetorius ergab sich insofern ein glücklicher Zufall, da er mir von einigen Personen namens Kucera berichtete, die an der Karls-Universität tätig wären. Und das brachte mich auf die Idee, den Campus der Universität noch zu später Stunde aufzusuchen. Dort wartete der gute Ronald in Begleitung einer Sekretärin auf mich, die an der Lehranstalt Einsichten über das Personal- und Studentenregister verfügt. Wir durchstöberten die Karteien mit dem Anfangsbuchstaben K und stießen wahrhaftig auf den Namen Mikolas Kucera, der als technischer Assistent im Bereich der Chemie und Physik geführt wurde. Und da wir gerade dabei waren, fand sich auch ein Immatrikulationsvermerk einer gewissen Bozena Kinsky wieder, die das Studium der Kunsthistorie und Literaturwissenschaften aufgenommen hat. Deshalb unternahm ich heute früh spontan eine Besichtigung der Forschungseinrichtungen für Physik und Chemie und ließ mir einzelne Projekte sowie das dazugehörigen Betreuungspersonal vorführen. So wurde mir denn auch Mikolas Kucera vorgestellt, der mit seinem Bruder Karel zur Zeit mit der Entwicklung von Extrahierverfahren betraut ist, also der großtechnischen Problemlösung, organische Substanzen als Konzentrate herzustellen. Und hier lag auch der Schlüssel zu der besonders einfallsreichen Planung, einen Überfall mittels Sprühbehälter durchzuführen.


Hatch:

Also gehören die Kucera-Brüder auch noch zu der Bande. Das wären dann schon vier an der Zahl.


Van Dusen:

Ganz recht, Hatch, aber gedulden sie sich noch einen Augenblick. Ich komme gleich darauf zurück. - Um die Geschichte vollständig wiederzugeben, muß ich nochmal auf die Nacht des Sonntag zurückkommen, als ich sie gegen viertel vor Zwölf bewußtlos in der Wäschekammer des Savoy vorfand. Zuvor sollte mir eine in der Suite zurückgelassenen Botschaft darlegen, daß ich mich von dem Fall distanzieren solle, wobei mir in der Nachricht noch ein Wink auf das Versteck gegeben wurde, da die Bedeutung des unterstrichenen Begriffes Mangel einzig und allein auf den Wäscheraum abzielen mußte. Mir war sofort klar gewesen, daß der arme Hatch von dem Fräulein Kinsky heimgesucht worden ist, da dem Zettel noch der angenehme Duft des Parfums anhaftete, das Mr. Hatch bei seiner ersten Begegnung mit der Dame wahrgenommen hatte, und wobei es sich um die bekannte Guerlain-Creation Jicky handelte.


Hatch:

Jicky. - Aha, jetzt ist mir wenigsten die Marke bekannt.


Van Dusen:

Sowohl vom Odeur betört als auch von der Anwesenheit des jungen Fräulein in Anspruch genommen, merkte Mr. Hatch nichts davon, daß sich jemand hinter ihm anschlich, sodann mit einem Wattebausch chloroformierte, um ihn dann in einem großen Schrankkoffer zum Wäscheraum zu transportieren. Ich gehe davon aus, daß bei dieser Tat Herr Martinic, als ein alter Bekannter der Familie Kinsky, den Akt der Betäubung übernommen hat. Und das alles nur, um mich einschüchtern zu wollen? Aber ein Professor Doktor Doktor Doktor Augustus van Dusen läßt sich nicht so leicht einschüchtern! Ich ging daher sogleich ans Werk und führte einige chemische Untersuchungen sowie physikalische Betrachtung durch, um an weitere Erkenntnisse zu gelangen. Als erstes unternahm ich eine optische Überprüfung an den von mir gesammelten Sprühresten jener mysteriös scharfen Substanz vor. Ein Blick durch das Mikroskop zeigte mir sofort, daß es sich nicht um Blütenpollen handeln konnte, denn bei der zu dieser Jahreszeit vorherrschenden Baumblüte hätte sich ein Bild von sehr regelmäßigen Globularpartikeln ergeben müssen, also einzelne kugelrunde Pollen im Durchmesser von etwa 10 bis 45 Mikrometer. Stattdessen lagen ziemlich unregelmäßige konturierte Zusammenballungen vor, deren konglomeratische Anordnungen weit über 50 und 100 Mikrometer hinausgingen. Die weitere Analysemethode ließ erkennen, daß wir es mit fein gemahlenen Chilipulver zu tun haben. Dann kam ich zu dem kleinen Bruchstück aus Glas, das mir auf dem Teppich am Tatort aufgefallen war, und welches ich hier in der Hand halte. - [van Dusen zeigt das Glasstückchen vor] - Bei näherer Betrachtung sollte jeder von Ihnen zweifelsfrei zu dem Schluß kommen können, daß das abgebrochene Stückchen zum Endstück einer Ampulle gehören muß. Und an diesem Endstück ist noch etwas von der Glaskaverne übriggeblieben, in dem sich noch Reste einer Flüssigkeit befanden. An diesem fluiden Rest ließ ich einige chemische Analysen folgen, die zu einem höchstinteressanten Ergebnis führen sollten. Und zwar mußte die Ampulle eine äußerst hohe Konzentration des Wirkstoffes Capsaicin 10) zum Inhalt gehabt haben, einem Alkaloid, welches in seiner Reinform farb- und geruchlos ist und welches aus der Weißbeere gewonnen wird. Einer Pflanzengattung aus der Familie der Solanaceen, auch besser bekannt unter dem geläufigen Namen Capsicum. Es handelt sich hierbei um perennierende Kräuter, deren Fruchtschalen einen sehr scharfen Stoff besitzen, nämlich das Capsaicin. Träger dieser Substanz, wie zum Beispiel die Chilischoten, der Spanische Pfeffer und der Cayennepfeffer, werden in der Medizin zur Behandlung bei Wechselfieber oder rheumatischen Erkrankungen eingesetzt und gelten in erhöhter Konzentration als sehr starke Reizmittel. Des weiteren lassen sich damit auch Taue und Schiffsrümpfe vor Seepockenbefall schützen. Und eine ebensolche Konzentration lag nun mit der angebrochenen Ampulle vor.


R. Praetorius:

Damit liegt die Vermutung nahe, daß die Kucera-Brüder mit ihrer Extrahierapparatur den Versuch unternommen haben, den Wirkstoff aus diversen Chilischoten bzw. aus Chilipulver zu gewinnen. Ganz schön clever, diese Burschen.


Van Dusen:

Zu dieser Erkenntnis bin ich heute ebenfalls gekommen, als mir der Laborraum der Kuceras gezeigt wurde und in dem ich auf einen Behälter mit der Aufschrift „Capsicum Chinense“ gestoßen bin, also auf eine Pflanzensorte, die zu den schärfsten der Welt gehört.


Hatch:

Damit wäre die Bande dann vollzählig. Was nun? Was sollen wir jetzt gegen die Vier unternehmen?


Van Dusen:

Sie sind wie immer viel zu voreilig, mein lieber Hatch. Sie übersehen zum einen die Fakten und vergessen einfach den Hinweis, den ich ihnen gestern schon mitzuteilen versuchte. Denn die Bande besteht nicht nur aus vier Mitgliedern, sondern ...? - Addieren sie zwei und zwei zusammen, Hatch!


Hatch:

Dann komme ich erst recht auf vier.

Van Dusen:

Lassen sie doch ihre törichten und unangebrachten Späße! Der Fünfte im Bunde ist natürlich und wieder einmal Herr von Klausen. Wer sonst?


von Klausen:

Das ist eine sehr schwerwiegende Beschuldigung, die sie da aussprechen, Herr Professor van Dusen. Ich hoffe, sie sind sich bewußt, was sie riskieren?


Van Dusen: [sehr ernst]

Und ich wiederhole es noch einmal, Herr von Klausen. Niemand, absolut niemand wird mich daran hindern können, die Wahrheit auszusprechen. Auch keiner aus dem Kreise ihrer agierenden Gruppe, die sicherlich in nicht allzu langer Zeit bei uns eintreffen wird. Immerhin konnte ich Zeuge ihres kleinen Auftritts auf den Balkon werden, als sie durch das Schwenken eines weißen Taschentuches allzu deutlich signalisierten, daß der Moment für einen überraschenden Besuch gekommen sei. All das habe ich schon vorausgesehen, Herr von Klausen. - [plötzlich klopft es an der Tür] – Ah. Lupus in fabula! Hatch, lassen sie doch bitte unsere Hauptakteure eintreten.


Hatch: [völlig verstört]

Sind sie denn noch zu retten, Professor! Von Klausen und der Rest der Mannschaft, alle hier auf einen Haufen! Wie stellen sie sich das vor? Die werden uns doch zum Teufel jagen.


Van Dusen: [beruhigend zu Hatch]

Vertrauen sie mir, Hatch. Ihnen wird kein einziges Haar mehr gekrümmt. Dafür ist vorgesorgt, das garantiere ich ihnen.



R. Praetorius: [ebenfalls beunruhigt]

Das will ich stark hoffen, Augustus! So hatte ich mir die Rolle als Gastgeber nicht vorgestellt, daß ich irgendwelchen Kriminellen hier noch Unterschlupf leisten muß.


Van Dusen:

Keine Angst. Die Sache wird gleich zu einem Ende kommen, ohne eskalieren zu müssen.


Hatch: [geht zur Tür und flucht leise vor sich hin]

Auf was lasse ich mich da bloß immer wieder ein! - [öffnet die Tür, wo Martinic, die Kucera-Brüder und Zena warten] – Kommen Sie ´rein, in die gute Stube! Ihr werdet schon erwartet.


Karel Kucera:

Erwartet? Was soll der Blödsinn.


F. Martinic:

Halt dich nicht mit Fragen auf, Karel. Laß uns eintreten.


Hatch: [sieht Zena sehr streng an]

Daß wir uns so schnell wieder sehen würden, hättest du dir wohl nicht erträumt, BO-Zena.


B. Kinsky:

Lassen sie sich das doch erklären, Herr Hatch, ich wollte ...


Hatch: [überspielt sein unwohles Gefühl durch einen überzeugt harschen Befehlston]

Es gibt hier nur Einen, der etwas zu sagen hat. Und das ist Professor van Dusen! Jetzt geht endlich herein, sonst wird jemand noch sehr gereizt und ungeduldig. [die Vier und Hatch treten an den Tisch, wobei sich Hatch wieder hinsetzt]


Karel Kucera:

Bohumil! Was hat das zu bedeuten? Hast du etwa geplaudert?


von Klausen:

Nein, nein, Karel. Wir haben uns einfach überschätzt, oder anders ausgdrückt, wir haben den großartigen Professor van Dusen unterschätzt. Er scheint alles zu wissen, wobei er mir noch nicht erklärt hat, wie er darauf kommt, daß ich etwas mit dem Überfall zu tun haben könnte.


Karel Kucera:

Was soll das viele Lamentieren! Da er ohnehin schon zuviel weiß, müssen wir Konsequenzen ziehen.


von Klausen:

Sachte, sachte, Karel. Nicht so voreilig. Setzt euch alle erstmal ruhig hin und wartet ab, was Herr Professor van Dusen noch zu sagen hat.


R. Praetorius:

Ja, nehmen sie Platz. Da stehen noch ein paar Stühle. Die müssten für sie alle ausreichen.


Van Dusen: [schnauft einmal tief durch und wendet sich an von Klausen]

Nun, sie wollen also noch auf den Rest der Auflösung beharren? Gut, ich werde ihnen auch die letzten Beweise für ihre Täterschaft demonstrieren. Wie schon gesagt, fand ich die Ampulle mit dem konzentrierten Capsaicin. Außerdem hatten sie nach dem Anschlag keine geröteten Augen, sondern nur eine Reizung an der Mundpartie, was bedeuten mußte, daß sie das Capsaicin direkt geschluckt hatten, womit sie sich regelrecht die Lippen und den Zungenbereich verbrannt haben. Denn der Wirkstoff Capsaicin spricht nicht auf die Geschmacksnerven an, sondern auf die Nervenenden, die eigentlich für die Schmerz- und Hitzeempfindungen verantwortlich sind. Damit konnten sie zumindestens Vorgeben, ebenfalls ein bemitleidendes Opfer geworden zu sein. Aber täuschen,... [van Dusen lächelt überlegen] ... täuschen konnten sie mich damit keinesfalls. Sie sind der eigentliche Vorbereiter für diese Aktion gewesen, denn sie waren es auch, der einen Keil unter die schwere Eichentür schob, damit diese zur vereinbarten Zeit offen sein würde. Denn es handelte sich ja um ein Spezialschloß, das ohne den Besitz eines Schlüssel nur von innen geöffnet werden konnte. In diesem Fall verriet sie ihr linker Schuh, der an der Spitze etwas abgewetzt war und dessen schwarze Schuhfarbe sich am Holzkeil abgezeichnet hatte, als sie den Keil mittels Tritte unter die Tür zu stemmen versuchten.


von Klausen: [sehr interessiert]

Absolut außergewöhnlich, ihre höchst aufmerksame Beobachtungsgabe. Fast schon ein bißchen übernatürlich und unheimlich. Aber erzählen sie nur weiter. Ich bin sehr gespannt.


Van Dusen:

Dann kommen wir noch zu den beiden letzten Fundstücken. -[holt den aufgerollten Kupferdraht und die Edison-Walze aus seine Manteltasche hervor] – Ich meine damit, jenes Stückchen Kupferdraht, welches ich unter dem Teppich fand, und diese Phonographenwalze. - [von Klausen macht ein betrübtes Gesicht] – Diese Funde konnten nur eine ganz bestimmte Schlußfolgerung zulassen, daß sie nämlich im Vorwege gewisse Präparationen im Konferenzraum vorgenommen hatten, um bei ihren beiden Gästen ein Täuschungsmanöver durchzuführen. Denn nachdem die beiden Täter, also die beiden Kucera-Brüder, in den Konferenzraum eingedrungen sind, suchte Herr von Klausen erstmal Schutz unter dem Tisch, um dem Capsaicin-Anschlag weitestgehend aus dem Wege zu gehen. Mit Gasmasken geschützt sprühten die Kucera-Brüder den feinen Nebel einer mit Capsaicin und Chilipulver angreicherten Alkohollösung in Richtung von Herr Tsukagoshi und Pasternak, die danach fast wie blind gewesen sein mußten. Nun ergriff Herr von Klausen die beiden Enden eines Kupferdrahtes, welcher unter dem Teppich verlegt war, und verdrillte diese, womit er einen elektrische Verbindung zwischen diesen beiden Drähten schloß. Denn der eine Draht führte von der Phonographen-Batterie ausgehend durch eine Fuge der Fußbodendielen entlang zum besagten Teppich. Von dort aus führte der zweite Draht, wieder entlang einer weiteren Dielenfuge, zurück zu einem der Anschlußkontakte des Phonographen, welcher somit aus der Entfernung aktiviert werden konnte. Dabei wurde nun diese originelle Walze abgespielt. Doch was werden wir auf der Walze hören und warum wurde sie überhaupt abgespielt? Hören wir einmal herein, was uns hier als ein Slawischer Marsch sugerriert wird. - Für eine kurze Demonstration ist es mir doch erlaubt, deinen Phonographen zu bedienen, mein guter Ronald?


R. Praetorius:

Keine Frage. Ich bin selber ganz gespannt, was ich da zu hören bekomme.


Van Dusen:

Sehr gut, die akustische Aufführung kann also beginnen. [legt die Walze ein und zieht den Phonographen per Kurbel auf]


Hatch als Erzähler:

Damit setzte der Professor den Phonographen in Gang und ließ die Abtastnadel auf die rotierende Walze hinab. Was wir in den kommenden Minuten zu hören bekamen, muß an dieser Stelle nicht unbedingt aufs Genaueste wiedergegeben werden. Nur soviel, daß sich zwei Männerstimmen im steten Wechsel Kommandos zuriefen und vereinzelt die Aufforderung lautstark wiederholt wurde, daß die am Boden liegenden Opfer weiterhin dort verharren und die Ruhe bewaren sollen, sonst würde man sie einer erneuten Tortur unterziehen und die Sprühapparate wieder einsetzen. Dieser etwas schlichte und monotone Dialog zog sich über die gesamte Spielzeit der Walze hinweg. Der Professor blickte während der ganzen Zeit aufmerksam in die Gesichter seiner Zuhörer und machte ein äußerst zufriedenen Eindruck, als die Kucera-Brüder allmählich den Kopf sinken ließen, so als ob ihnen das Ganze langsam unangenehm würde. Auch Herr von Klausen verzog zunehmend seine Gesichtszüge und ließ erkennen, daß er sich geschlagen gebe.


Van Dusen: [die letzten rauschenden Sekunden der Walze sind zu hören]

So, das dürfte wohl genügen, meine Herren, und natürlich auch meine Dame. - [stellt den Phonographen ab] – Was sie eben gehört haben, ist eine speziell auf den Überfall abgestimmte Tonaufnahme zweier Männer, deren sprachlicher Schlagabtausch darauf abzielte, den erhofften Anschein zu erwecken, sie würden mehrere Minuten im Konferenzraum verweilen. Das war aber gar nicht der Fall gewesen, sondern bezweckte einzig und allein einen vorteilhaften Zeitvorsprung, nämlich die Spiellänge einer Edison-Walze. Denn sofort, nachdem die beiden Täter ihre Sprühapparate einsetzten, nahmen sie die Aktentasche mit den Geldscheinen und die Kassette an sich, betraten den Waschraum, um dann ihre Beute durch das offene Fenster nach draußen zu befördern. Der schwarzgekleidete Mann, ich kann hier mit Fug und Recht behaupten, daß sich hinter dieser Maskerade Karel Kucera versteckt hielt, verließ das Gebäude wieder auf den alten Weg und flüchtete mittels der noch bereitstehenden Kutsche. Ihn erkannte ich sofort an seinen Ohren wieder, die er fahrlässigerweise versäumt hatte, meinen scharfen Blicken zu entziehen. Sein Bruder Mikolas hingegen, kletterte aus dem Fenster und entschwand in Gegenwart des Fräulein Kinsky durch die unterirdischen Gänge Prags. Da in diesem Jahr eine Menge Assanierungsarbeiten in der Josefsstadt, aber auch in Teilen der Alt- und Neustadt, vorgenommen werden, müsste es für jemanden wie Herr von Klausen, der den Zugang zu den Stadtverwaltungen besitzt, ein Leichtes gewesen sein, Pläne der bestehenden Kanalisation einzusehen. Der glückliche Zufall, die Behausung der Kinskys in der Nähe eines Ganges vorzufinden, führte zu der Idee, einen Durchbruch in das Kellergewölbe zu schlagen. - Doch zurück zum Tatort.- Nachdem sich das lautstark beeindruckende Tohuwabohu endlich gelegt hatte, also der Phonograph aufhörte zu spielen, zog Herr von Klausen mit einem kurzen Ruck an den Drähten, sodaß diese von der Batterie und dem Abspielgerät absprangen. Er wickelte die Drähte zu einem Knäuel auf und versteckte ihn kurzerhand unter dem Teppich. Daß er sowohl Walze als auch Kupferdraht an Ort und Stelle hinterließ, war ein schwerer Fehler gewesen. Zu schwer, um mich auch nur im Geringsten täuschen zu können. - Nun, Herr von Klausen, habe ich nicht recht mit der von mir präzise dargestellten Schilderung?


von Klausen: [gibt Van Dusen verhaltend Applaus]

So jemand, wie sie, Herr Professor van Dusen, ist mir mein Lebtag noch nicht begegnet. Zu meinem Bedauern muß ich zugeben, daß ich das alles nicht besser hätte nacherzählen können. Man könnte den Eindruck gewinnen, sie wären bei allen Vorgängen dabei gewesen. Meine außerordentliche Hochachtung vor einer solchen Geistesschärfe und Intelligenz, die durch ihre beneidenswerte Person zum Ausdruck kommt. Ich gebe mich geschlagen. - Und falls sie auch das Motiv für unsere Handlungsweise interessieren sollte, so kann ich nur anführen, daß unsere Gruppe stets darum bemüht war, für die Freiheit und gegen die Unterdrückung in der Welt zu kämpfen. Wir sind Gegner der zur Zeit vorherrschenden Politik Rußlands und erst recht ein Gegner des blutigen Krieges gegen die Japaner. Deshalb haben wir das Geheimtreffen sabotiert. Bilden sie sich nun selbst ein Urteil. - Aber ich fühle mich dennoch nicht als Verlierer. Immerhin sind wir noch im Besitz der 100.000 Kronen, und ich wüßte nicht, wie sie uns dazu bewegen wollen, jemals das Geld wieder zurückzugeben.


Karel Kucera:

So ein Mist! Jetzt haben wir hier drei Männer, die ganz genau über uns Bescheid wissen. Vor sowas habe ich immer Angst gehabt, daß wir eventuell gezwungen sein sollten, bis zum Äußersten gehen zu müssen. - Verdammt! Verdammt! Verdammt!


Van Dusen: [unbeeindruckt]

Korrekterweise müßten man von Vier Männern sprechen, die über die gesamte Täterschaft in Kenntnis gesetzt sind. Ich sagte ihnen ja schon, Herr von Klausen, daß ich mir absolut keine Sorgen mache, da ich noch über eine außenstehende Kontaktperson verfüge, die im Besitz eines Briefes mit sehr brisantem Inhalt ist. Ein Bericht, welcher unverzüglich an die Adresse des Innenministers geht, sobald einem von uns nur das Geringste widerfahren sollte. Sie können sich denken, welchen Eklat das nachsichziehen würde, wenn mein Joker ausgespielt würde.


von Klausen: [schnauft resignierend]

Ich hatte es geahnt. - Was jetzt? Wir befinden uns in einem Dilemma, in einer Pattsituation. Ich muß ihnen aus der Hand fressen, und sie, Herr Professor van Dusen, können andererseits nicht von uns erwarten, daß wir sie so einfach laufen lassen, damit sie uns ans Messer liefern. Eine verflixte Situation, herrje! [vergräbt seinen Kopf in seinen Händen] – Schwierig, schwierig, schwierig, ...


Van Dusen:

Nicht so schwierig, wie sie vielleicht meinen. Denn ich habe alles längst vorausgesehen, weshalb ich sie auch an diesen neutralen Ort bestellt habe. Ich kann ihnen eine Lösung anbieten, mit der alle hier anwesenden Personen sehr zufriedengestellt nachhause gehen könnten.


B. Kinsky:

Sie meinen einen Handel? Eine gegenseitige Vereinbarung, so als wäre nichts geschehen?


Mikolas Kucera:

Wie soll das gehen? Das ist ein ziemlich riskantes Spiel.


B. Kinsky:

Wir können nur den Schritt des Vertrauens gehen, so wie mir Herr Hatch auch einmal vertraut hat. Ich bin bereit, mich zu revanchieren und zu kooperieren. Ich bin aber nicht bereit, mich noch tiefer in die Nessel zu setzen.


Karel Kucera:

Das wird nicht funktionieren!


F. Martinic:

Doch, Karel! Zena hat recht. Was haben wir für eine andere Wahl? Sieh ein, daß wir nicht die Kaltblütigkeit von Schwerverbrechern besitzen.


von Klausen:

Vertrauen ist stets die beste Art der Diplomatie, sofern sich Menschen mit Ehre und Respekt gegenüberstehen. Ich bin überzeugt, daß man Herr Praetorius, ebenso Mr. Hatch, und natürlich Herr Professor van Dusen voll und ganz zu dieser Gattung Mensch zählen darf. - Was können wir für sie tun, meine Herren?


Van Dusen:

Eine weise Entscheidung. Ich habe nichts anderes von ihnen erwartet.- Treffen wir also ein Abkommen darüber, was uns zu einer optimalen Lösung führen wird. - Nun, sie können die 100.000 Kronen natürlich nicht behalten, das steht völlig außer Frage. Die 100.000 Kronen an den einstigen Besitzer Herrn Pasternak zurückzugeben, schätze ich, von der anderen Seite her betrachtet, wiederum nicht als die optimalste Lösung ein. Denn mir mißfällt diese Art von Menschenschlag, deren unlautere Machenschaften dazu dienen, kriegsdienliche Information, koste es was es wolle, dafür zu nutzen, um weitere unschuldige Menschen ins Verderben laufen zu lassen. Das werde ich nicht zulassen, so wahr ich Augustus van Dusen heiße.


von Klausen:

Und welchen goldenen Mittelweg wollen sie gehen?


Van Dusen:

Setze wir das Geld für wohltätige Zwecke ein. Ich hatte dabei an die beiden Kinderspitäler dieser Stadt gedacht, für die man das Geld paritätisch aufteilen könnte. Was halten sie von den Vorschlag.


von Klausen:

Ich glaube, und hiermit kann ich sicherlich für uns alle sprechen, daß dieser Vorschlag annehmbar ist. Ein Mann, ein Wort. Das Geld wird noch bis Ende dieses Monats an die Spitäler gehen. Dafür werde ich mich höchstpersönlich verbürgen.


Van Dusen:

Dann wäre dieser Punkt geklärt. Von Seiten meiner Person, aber auch von Seiten meines Gastgebers und Mr. Hatch, wird keinerlei Information an die Öffentlichkeit dringen. Die außenstehende vierte Person wird den versiegelten Brief nicht abschicken. Das wäre mein Wort, auf das sie sich blind verlassen können.


Hatch:

Kein Wort darf an die Öffentlichkeit? Och, schade. So kann ich meine Pflichten als Chronist natürlich nicht wahrnehmen. Das ist sehr bedauerlich. Hat der Leser nicht ein Recht darauf, irgendwann alle Fälle der Denkmaschine zu Gesicht zu bekommen. Oder wie sehen sie das, Professor?


Van Dusen:

In diesem Fall müssen wir mal eine Ausnahme in Kauf nehmen. Wichtig ist doch, daß wir wieder einmal die Wahrheit ans Licht gebracht haben. Und nur das zählt, mein lieber Hatch. Aber vielleicht ließe sich darüber reden, daß es ihnen, nach einer gewissen Verjährungsfrist, doch noch gestattet sei, von dem Vorfall berichten zu dürfen. Sagen wir nach etwa 8 Jahren, Herr von Klausen?


von Klausen:

Puh, eine schwere Entscheidung. Aber ich meine, daß nach etwa 10 Jahren genug Gras über die Sache gewachsen sein wird, sodaß kein Hahn mehr danach kräht. Das zeigt die Erfahrung.


Van Dusen:

Einigen wir uns wieder auf den goldenen Mittelweg. In genau 9 Jahren, also im April 1913, sei es Mr. Hatch erlaubt, der Öffentlichkeit von den Geschehnissen wissen zu lassen. Bis dahin wird geschwiegen.


von Klausen:

Einverstanden! Besiegeln wir das per Handschlag. - [reicht die ausgestreckte Hand, die Van Dusen erwidert]


Van Dusen:

So soll es geschehen.


Hatch:

Das ist ja wie bei Shakespeare. Der Rest ist Schweigen, worauf denn bald der schwere Vorhang fällt und die Stille folgt. - Wird mir zwar ziemlich schwerfallen, die Klappe zu halten, aber dann habe ich wenigstens noch einen Fall in der Hinterhand. Wer weiß, was in den kommenden 9 Jahren noch alles passieren wird?


B. Kinsky:

Herr Hatch, sie sollten nicht ein so tragisches Ende wie am Beispiele Hamlets anführen. Wenn sie schon Shakespeare zitieren wollen, wie wär´s mit Schweigen ist der beste Herold der Freude 11) .


von Klausen:

Ein sehr schönes Schlusswort, Zena. Ich glaube, wir können jetzt alle guten Gewissens wieder auseinander gehen, oder? [schaut fragend zu Van Dusen]


Van Dusen:

Es ist ihnen nunmehr freigestellt, das zu tun, was ihnen beliebt, solange sie nicht mit den Gedanken spielen, sich durch andere kriminelle Handlungen strafbar machen zu wollen. Bleiben sie ihrer Linie treu, und setzen sie zukünftig die zu Gebote stehenden Mittel ein, wenn es um die Interessen und Freiheitsansprüche der Welt oder des tschechischen Volkes geht. - Aber bevor sie gehen, eine kleine Frage hätte denn doch noch, die an das Fräulein Kinsky gerichtet ist. Nach Beschreibung meines Begleiters Hatch gehe ich davon aus, daß sie heute dasselbe Kleid tragen wie gestern?


B. Kinsky:

Ja? Warum fragen sie, Herr Professor?


Van Dusen:

Nun, dann kann ich auch davon ausgehen, daß sie es gestern vorzogen, geeignete Stiefel zu tragen, anstatt ein Paar Damenschuhe auszuwählen? Denn durch den langen Rock konnte niemand ihre außergewöhnliche Fußbekleidung wahrnehmen, die für den Gang durch die Kanalisation von Vorteil sein sollte.


B. Kinsky: [wird etwas rot]

Sie haben mich erwischt. Ich habe wirklich unterm Rock Gummistiefel getragen. Ein absoluter Stilbruch, ich weiß, aber warum sollte ich mir die schönen Schuhe ruinieren?


Van Dusen:

Ruinieren. - Und damit komme ich auf die Frage, die mich bewegt. Nicht, das ich keine Antwort darauf hätte. Hier gäbe es eine Vielzahl an Möglichkeiten, die mir einfallen würden. Aber es interessiert mich, auf welche Weise sie es angestellt haben, sich jegliche Verschmutzungen vom Kleide fernzuhalten? Sie mußten doch in den dreckigen Gängen der Kanalistion zum einen die Fackel halten und zum anderen die Aktentasche transportieren. Sie hatten damit keine Hand mehr frei, um den Rocksaum hochzuhalten, damit dieser nicht durch den morastigen Schlamm gezogen würde. Und trotzdem ist es ihnen gelungen. Verraten sie mir ihren speziellen Trick?


B. Kinsky:

Trick? Ich würde nicht gerade behaupten, daß man das als Trick bezeichnnen sollte. Das ist das praktische Denken einer Frau, wenn einem die Eingebung kommt, unter dem Kleid Strumpfhalter zu tragen, die ich anfangs an den Stiefeln befestigt hatte. Als ich den schmutzigen Kanalschacht hinabstieg, klemmte ich die Strumpfhalter an den Rocksaum fest, sodaß mein Kleid durch den Gummizug hochgerafft wurde. Sie sehen, so einfach ist das alles.


Van Dusen: [entzückt von der einfachen Idee]

Strumpfhalter? Eine sehr originelle Idee, das muß ich zugestehen.


Hatch: [entrüstet]

Shocking! - Wenn ich mir das bildlich ausmale. Gummistiefel und ein geraffter Rock, ein absoluter Kulturschock für die Haute Couture. Sogar in den schrägsten Szenen der New Yorker Gesellschaft würde das für Aufsehen sorgen. Na, zum Glück war es da unten dunkel gewesen.


von Klausen:

Die kleine Zena darf man nicht unterschätzen. Für ihr Alter ist sie schon sehr weit und ziemlich clever noch dazu. Sie wird es nochmal weit bringen können, da bin ich mir sicher. - Doch eines fällt mir jetzt noch ein, Herr Professor van Dusen. Sie haben sich an einer Stelle ihrer Ausführungen leider geirrt.


Van Dusen: [bestürzt]

Geirrt?!!


Hatch:

Oje! Das hätten sie lieber nicht gesagt.


Van Dusen:

Einen Irrtum? Das kann nicht sein! - Trotz meiner sonstigen Gepflogenheit, gewisse Wortschöpfungen nicht in den Mund nehmen zu wollen, wage ich sogar im Speziellen für meine Person behaupten zu dürfen, daß ich es als denkbar unmöglich halte, mich auf einen geistigen Irrpfad begeben zu haben.


R. Praetorius:

Lapsus memoriae, das ist doch nichts Schlimmes, Augustus. - Irren ist menschlich.


von Klausen:

Ich korrigiere mich an dieser Stelle. Der Fehler liegt nicht bei Professor van Dusen, sondern bei der Polizeibehörde. Es wurde nämlich erwähnt, daß Mikolas Kucera bei den Ausschreitungen in Prag dabei gewesen sein soll. Es war aber sein Bruder Karel, der aus Versehen den Studentenausweis von Mikolas mit dabei hatte. Dadurch kam es zu dieser Verwechselung, die bisher noch niemanden aufgefallen ist.


Mikolas Kucera:

Davon habe nicht einmal ich was gewußt. Das ist ja schön, daß ich das auch mal erfahre, Bruderherz!


Van Dusen:

Nun, für die unkorrekt erstellten Protokollaufnahmen bin ich nicht verantwortlich. Damit wäre dieser Punkt abgehakt.


von Klausen: [spricht zu seiner Gruppe]

So, es wird langsam Zeit. - Meine Lieben, laßt uns wieder zum geregelten Tagesablauf zurückkehren. Also, auf ein Wiedersehen, meine verehrten Herren. Es war mir eine besondere Ehre, sie, Herr Professor van Dusen, kennengelernt zu haben. [verabschiedet sich von Van Dusen und geht dann ab]


Hatch als Erzähler:

Damit verließen die Herren Kucera , Martinic und Herr von Klausen das Landhaus unseres Gastgebers Praetorius. Bozena Kinsky verweilte noch einen Augenblick bei uns und verabschiedete sich dann auf ihre ganz persönliche Art vom Professor und von meiner Wenigkeit.


B. Kinsky:

Können sie mir verzeihen, Herr Hatch? Franz und ich konnten nicht wissen, daß sie auf unserer Seite stehen und soviel Weitblick und Verständnis beweisen würden, um uns alle ungeschoren aus der Sache herauskommen zu lassen. Ich schäme mich, ihnen nicht gleich vertraut zu haben.


Hatch:

Ist schon gut, Zena. Alles schon verziehn. Ich weiß ja nun die wahren Beweggründe eurer Aktion. [schauen sich einige Sekunden ohne Worte an] - Dann heißt es wohl, Abschied voneinander zu nehmen.


B. Kinsky:

Es muß ja nicht ein Abschied für immer sein. Wir werden uns bestimmt irgendwann mal wieder begegnen. Verlassen sie sich auf die Intuitionen einer Frau, Herr Hatch. [gibt Hatch einen Kuss auf die Wange]


Hatch:

Auf Wiedersehen, Zena. Mach´s gut.


B. Kinsky:

Na shledanou, Hut-chin-son! [wirft danach van Dusen und Praetorius noch einen Kuss zum Abschied zu]


Hatch als Erzähler:

Nachdem Zena mir zum Abschied noch einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, was mich ehrlich gesagt schon etwas rührte, verabschiedete sie sich endgültig von uns und lief fröhlich gelaunt hinaus. Ich mußte einmal tief durchatmen, um mich in der ganzen Aufgewühltheit wieder sammeln zu können, und rief mir nochmal die letzten Worte Zenas ins Gedächtnis zurück. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen gab mir Zuversicht, welch verheißungsvolle Zukunft dem Professor und mir wohl noch bevorstehen würde. Na ja, nach einer kurzen Phase der Träumerei, riß mich der Professor wieder in die Wirklichkeit zurück, da er endlich seine Stadtbesichtung mit mir zu Ende bringen wollte. Wir bedankten uns bei Ronald Praetorius für die offenherzige Gastfreundschaft und begaben uns dann ins Getümmel dieser an jenem Montag sehr lebendig wirkenden Stadt Prag. Nach einem zweistündigen Erkundungsausflug mußte aber auch ein Van Dusen endlich einsehen, daß ich vor Müdigkeit kaum noch aufnahmefähig gewesen war, weshalb wir mit einem Spaziergang durch eine der Parkanlagen abschließen wollten.


Hatch: [gähnt hemmungslos vor den Augen Van Dusens]

Uuaah! - Ich könnte mich glatt auf die nächste Sitzbank hinschmeißen und schlafen.


Van Dusen:

Hatch! Wollen sie etwa den Gewohnheiten eines Stadtstreichers nacheifern? Kommt gar nicht in Frage. Sie werden sich zusammenreissen und die restlichen zwei Kilometer auch noch bewältigen.


Hatch:

Muß denn das sein? - Und außerdem, wer ist denn daran Schuld, daß ich die ganze Nacht wach gelegen haben? Sie und ihr Vorschlag, mir zur Aufmunterung noch einen Kaffee einzuflößen.

Van Dusen:

Reden sie sich nicht heraus, Hatch. Schließlich haben sie sich, und nur sie allein, in diese Situation gebracht. Wären sie wachsam gewesen, hätten sie bemerken müssen, daß sich jemand durch die nur angelehnte Tür unserer Suite Einlaß verschaffte, worauf jener Franz Martinic leichtes Spiel hatte, sie ins Land der Träumereien zu befördern.


Hatch: [resignierend]

Ach, lassen sie uns zügig weitergehen, Professor, dann habe ich es bald hinter mir. - [laufen einige Meter, ohne ein Wort zu reden] – Sagen sie mal, Professor, warum haben sie den Fall eigentlich nicht gleich der Polizei gemeldet? Schließlich haben wir es doch mit Raub zu tun gehabt. Abgesehen davon, daß man mich und den Polizisten Pepr betäubt hat, wurde sogar eine Kindesentführung vorgenommen, wenn auch nur gespielt. Mit ihrer seltsamen Taktik, den Schuldigen im geheimen Rahmen vor Augen zu führen, daß sie durchschaut seien, befinden sie sich nicht gerade auf der Seite des Gesetzes. So etwas nennt man Konspiration mit Verbrechern und Unterstützung von kriminellen Handlungen.


Van Dusen:

Mein lieber Hatch, sie haben selber gesehen, daß die hiesige Polizei, welche uns in der Gestalt des leicht verlotterten Herr Pallach erschienen ist, anfänglich gar keine Bestrebung erkennen ließ, eine Aufklärung in Gang zu setzen. Entweder duldete man das vorerst geglückte Unterfangen insgeheim, eventuell wußte man sogar wer dahinter steckte, oder es gab die begründete Sorge, daß durch eine Aufklärung, bzw. durch eine an die Öffentlichkeit dringende Berichterstattung, gewisse politische Amtsträger kompromitiert würden. Es wäre sicherlich zu einem Skandal gekommen. Daher mein Zögern, die Wahrheit nicht sofort preiszugeben. Daher mein Entschluß, eine Bloßstellung der Täter an einem neutralen Ort vorzunehmen, um Schlimmeres zu verhindern.


Hatch:
Um Schlimmeres zu verhindern? Was soll ich mir denn darunter vorstellen?

Van Dusen:

Sehen sie, Hatch, es ist ähnlich wie im Fall, als ich ihnen im Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud gewisse Bedenken darlegte, daß mir einige Dinge in der Welt große Sorgen bereiten, wenn sie der unmoralischen Absicht dienlich sind, immer blutigere Kriege zu führen und immer mehr Menschen in ihr Unheil laufen zu lassen. Der zur Zeit in der Mandschurei tobende Krieg gegen die Japaner, ausgelöst durch die ausgeweiteten Expansionsbestrebungen des machtbessenen Rußlands, ist Grund genug für mich, diejenigen in Schutz zu nehmen, die sich ihrer moralischen Verpflichtung bewußt sind und durch ihr Vorhaben vielleicht das sinnlose Sterben vieler Soldaten vereitelt haben. - Stellen sie sich vor, Pasternak hätte die Informationen bekommen, die ihm versprochen worden waren. Das hätte zu weitaus bedrohlicheren Konflikten geführt und die Kampfesbereitschaft noch stärker geschürt, bis hin zu einer infernalischen Eskalation, die bei beiden Kriegsparteien zu großen Verlusten geführt hätten.


Hatch:

Das sehe ich ein. Aber wie werden Andere darüber urteilen? Von meinem journalistischen Standpunkt aus gesehen gilt der Wahlspruch, wer die Wahrheit nicht offen ausspricht, der tritt stillschweigend für die Unwahrheit ein. Das gilt sowohl für die Gesellschaft, als auch für die Politik.


Van Dusen:

Hatch, in der Politik trifft man nur im seltensten Fall die Wahrheit an. Hier gilt die Maxime, beim Evaluierungsprozeß der Unwahrheiten, diejenige zu wählen, die unter Berücksichtigung aller absehbaren Konsequenzen, das Mindestmaß an Nachteilen und Übel nachsichzieht. Leider tritt bei den meisten Verantwortlichen dabei der Aspekt des individuellen Interesses stärker zum Vorschein. Doch meiner Überzeugung nach war es eine vernünftige Entscheidung gewesen, die ich getroffen habe, und welche im Interesse und Sinne Vieler steht.


Hatch: [nachdenklich]

Mmh, das relativiert natürlich meinen Standpunkt radikal. - Die Vernunft muß manchmal höher angesiedelt werden. Man kann wohl nicht immer auf die uneingeschränkte Wahrheit bestehen. Das ist mir jetzt klar geworden.


Van Dusen:

Das ist die richtige Sichtweise, Hatch. [beide schweigen einen Moment]


Hatch:

Und welche Sichtweise hatte unser Japaner, dieser Tsukagoshi, gehabt? Sie haben ihn doch gestern abend noch getroffen. Was hat er ihnen erzählt?


Van Dusen: [sehr ernst]

Er berichtete mir eine sehr traurige Geschichte. - Ein Geschichte über seine Familie und seine Laufbahn, als treuer Offizier der Marine. Da Herr Tsukagoshi keine Einwände geäußert hatte, werde ich ihnen die einprägsamsten Schicksalschläge seines Lebens schildern. Sie werden ein anderes Bild von diesem traurigen, aber grundehrlichen und aufrechten, Mann bekommen. - [holt tief Luft] – Es ist ein Leben, welches durch eine Reihe einschneidender Schicksalsschläge geprägt wurde. Denn schon früh als Kind verlor unser Herr Tsugagoshi seine Mutter und wurde dann als Einzelkind, unter der Aufsicht seines Vaters, mit aller Strenge und Disziplin aufgezogen. Der Vater war es denn auch, welcher ihm letztendlich den Weg zum Militär ebnete, wo es ihn zur Marine hinzog und wo er seine Offizierslaufbahn einschlug. Vor etwas mehr als zehn Jahren heiratete er und wurde alsbald Vater einer Tochter. Aber die wenigen glücklichen Jahre, die er mit seiner Familie verbringen konnte, waren bald zu Ende. Um die Jahrhundertwende starb sein Vater, als er Nachts in den Gassen von Yokohama ein tragisches Opfer von Plünderern geworden ist, die ihm den Schädel einschlugen, als er sich zur Wehr setzte. Doch auf Tsukagoshi warteten noch weitere schmerzvolle Ereignisse. Denn vor zwei Jahren, am Tage des siebenten Geburtstages seiner Tochter, kam es zu einem dramatischen Unfall, als das kleine Mädchen auf einer schmalen Holzbrücke spielte und wahrscheinlich das Gleichgewicht verlor. Sie stürzte in den Bach hinab, worauf sie das Bewußtsein verlor. Obwohl der Bach nur einen halben Meter Tiefe maß, kam jede Hilfe zu spät. Als man sie aus dem Wasser herauszog, war sie schon längst ertrunken gewesen.


Hatch:

Meine Güte, der arme Kerl.


Van Dusen:

Sie können sich denken, wie tief erschüttert das Ehepaar gewesen sein muß. Und dieses tief deprimierende Erlebnis führte dazu, daß sich der Zustand seiner Frau in den nächsten Monaten immer mehr verschlimmerte. Sie wurde zunehmend anfälliger und kränklicher, was sich schließlich bis zu einer schweren Lungenkrankheit auswuchs, die sie von Tag zu Tag mehr schwächte. Da Herr Tsukagoshi infolge seiner beruflichen Verpflichtung sich nicht permanent um seine Frau kümmern konnte, bat er seine Tante als letzte verbliebene Verwandte darum, die häusliche und kurative Pflege zu übernehmen. Aber die Verschlechterung des Zustandes konnte auch sie nicht aufhalten. Anfang dieses Jahres schlief die körperlich geschwächte Frau von Herrn Tsukagoshi selig ein und wachte nicht mehr auf. Er erfuhr davon, als er an Bord seines Kriegschiffes war, was ihn sehr mitgenommen hatte, da er die letzten Stunde nicht am Lager seiner Frau verbringen konnte.


Hatch:

Schlimm, schlimm. Das geht ganz schön unter die Haut. - Doch was ist geschehen? Der Kriegsbeginn gegen Rußland muß doch so in dieser Zeit gewesen sein.

Van Dusen:

Richtig, Hatch. Es ist kaum zwei Monate her, als die folgenschwere Nacht vom 8. zum 9. Februar einbrach, und die japanische Flotte, unter Führung des Admiral Togo, ihren Angriff gegen das russische Geschwader einleitete, der sich bei Port Arthur ereignete. Eine Schlacht mit schweren Verlusten auf Seiten der russischen Kriegsschiffe12), worauf am 10. Februar die offizielle Kriegserklärung folgte. Unser Herr Tsukagoshi war bei dieser Schlacht dabei gewesen und hatte auch gute Kontakte zum Admiral gehabt. Aber die vielen Tragödien seines Lebens und der jetzt bevorstehende Krieg, ließen ihn nachdenklich werden. So nachdenklich, daß er es plötzlich nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, weitere Befehle bei dem Massaker und der Peinigung der russischen Matrosen auszuführen. Er verweigerte sich, wurde daraufhin disziplinarisch unter Druck gesetzt, aber da er dem Druck weiterhin widerstand, verlor er sämtliche militärische Ränge und wurde als „Unehrenhaft“ in seine Heimat zurückgeschickt.


Hatch:

Jetzt wird mir Vieles klar. Verständlich, daß er mit seiner Vergangenheit abschließen wollte. Und Grund genug hat er auch gehabt, einen ziemlichen Groll gegen die militärische Führung der Flotte zu haben. Vielleicht wollte er deshalb seine Informationen verraten.


Van Dusen:

Daß er seinen Weg nach Europa überhaupt angetreten ist, entspringt aber einem völlig anderen Beweggrund, Hatch. Denn es ereignete sich nämlich noch ein schicksalhaftes Erlebnis, das zu einem Wendepunkt in seinem Leben werden sollte. In seiner Heimat Yokohama zurückgekommen wollte er ein letztes Mal Abschied von seiner verstorbenen Frau nehmen und dann selber den Freitod wählen. Zwei ganze Tage und Nächte hatte er vor gehabt zu trauern, um schließlich in der dritten Nacht seinen Liebsten in den Tod zu folgen. Doch in der dritten Nacht wurde er durch den Geruch von Qualm und Rauch gestört, worauf er bemerkte, daß in der Nachbarschaft ein Brand ausgebrochen war. Herr Tsukagoshi eilte sofort zu dem brennenden Häuschen hinüber und rettete eine ganze Familie vor dem sicheren Tod. Dabei schenkte er einem kleinen Mädchen, das genauso alt gewesen ist wie seine verunglückte Tochter, ein neues Leben. Für ihn war dies der entscheidende Wink gewesen, daß sein eigenes Leben doch noch einen Sinn erfüllte, welches nicht einfach zu vergeuden sei. Er packte sofort seine notwendigsten Sachen zusammen und begann seine Reise nach Europa. Hier wollte er einige Metropolen besuchen, zu der dann auch Prag gehören sollte. Er traf vor etwa einer Wochen in dieser Stadt ein, machte einige Bekanntschaften, denen er erzählte, daß er einmal als Offizier gedient habe, worauf man langsam hellhörig wurde. Es wurden Kontakte nach Rußland geknüpft, und somit ergab sich das Geheimtreffen mit dem Herrn Pasternak. Es kann als überaus glückliche Fügung angesehen werden, daß es ausgerechnet Herr von Klausen gewesen ist, welcher von der Stadtverwaltung ausgesucht wurde, die Unterhandlungen zwischen den Herren zu führen. Denn der raffiniert vorbereitete Plan und der Einsatz seiner kämpferischen Gruppe führten dazu, daß Herr Tsukagoshi doch noch zu der Einsicht kam, daß es falsch gewesen wäre, sein Volk aus tiefempfundener Enttäuschung heraus verraten zu wollen. Dieses hatte er mir gestern noch beim Spaziergang gebeichtet. Und damit endet mein Bericht.


Hatch:

Wirklich eine sehr traurige Geschichte, Professor, aber mit einem Funken Hoffnung für den weiteren Lebensweg Tsukagoshis. Ich glaube, er wollte nach Amerika auswandern, war das nicht so?


Van Dusen:

Genauer gesagt, New York, mein lieber Hatch. Ich habe ihn davon überzeugen können, daß eine Person seines Bildungsstandes keine schlechten Karten hätte, falls er sich dort niederlassen wolle. Ich gab ihm daher einige Kontaktadresse, an die er sich wenden könne. Herr Tsukagoshi hat dankend angenommen.


Hatch:

Damit wendet sich doch noch alles zum Guten. - Hätte ich anfangs nicht gedacht, daß hinter diesem banalen Kutschenraub so eine komplexe Story steckt. [sieht Van Dusen verschmitzt an]


Van Dusen: [lenkt vom Thema ab]

Lassen sie uns endlich den Fall ad acta legen und die angenehme frische Frühlingsluft genießen. - Aaah, holen sie tief Luft, Hatch, schließlich sind wir auch deswegen hier, um uns zu erholen.


Hatch:

Professor, ...


Van Dusen: [schließt die Augen]

Stören sie mich nicht jetzt, Hatch, lauschen sie vielmehr dem tirillierenden Gezwitscher der Singvögel.


Hatch: [sieht einen Reiter von links auf sich zukommen]

Professor! Wenn ich ihnen...


Van Dusen:

Seien sie doch endlich still, Hatch!


Hatch: [der Reiter kreuzt genau den Weg vom Professor]

Ich will doch nur, daß..... W-e-g! P-r-o-f-e-s-s-o-r!!! - [Hatch reißt den Professor zur Seite]


Van Dusen: [völlig überrascht]

Hoppla! - [landet neben Hatch auf dem Boden, während der Reiter nur knapp an den Beiden vorbeiprescht]


Hatch:

So ein Banause! Hält es nicht mal für angebracht, sich zu entschuldigen. - [hilft dem Professor hoch] - Alles in Ordnung, Professor? - Da haben sie ja nochmal Glück gehabt, daß ich so aufmerksam gewesen bin, und das, obwohl ich so müde bin. Der Fluch zu Ross scheint jetzt wohl auf sie übergesprungen zu sein.


Van Dusen: [erlangt allmählich seine alte Fassung wieder zurück]

Hatch? Seien sie doch so nett und finden sie sich stehenden Fußes am Bahnhof ein. Ich verspüre das dringende Verlangen, meine weitere Reise ohne größere Verzögerungen fortzusetzen. Buchen sie die Billets für die frühstmögliche Uhrzeit des morgigen Tages. Ich halte es nicht für unbedingt notwendig, einen längeren Aufenthalt anstreben zu wollen. Immerhin kennen wir nun den Größtteil der wichtigsten Stätten und Schauplätze, und mein Hauptanliegen, meinem Kollegen Praetorius die Ausarbeitungen der letzten Tage zu überreichen, hat sich ebenfalls erledigt. Ich werde mich jetzt gen Hotel begeben und den rauhen Sitten dieser schönen Stadt aus dem Wege gehen.


Hatch:

Jetzt, da ich ohnehin vor Schreck wieder putzmunter bin, macht es auch nichts mehr, wenn ich von hier aus zum Bahnhof stiefel. Aber eines müssen sie mir schon noch mitteilen, Professor. Wohin soll denn die weitere Reise gehen? Oder ist ihnen das egal?


Van Dusen:

Lassen sie mich kurz überlegen, mmh.- Genau! Buchen sie eine Zugfahrt nach Groningen, jenem kleinen und überschaubaren Städtchen im Lande meiner Vorfahren und Ahnen. Es wird mir sicherlich gut tun, einen Abstecher hin zu den Wurzeln meiner familiären Herkunft zu unternehmen. Bereiten sie alles vor, mein lieber Hatch. Wir sehen uns später. [van Dusen dreht sich um und läßt Hatch in der Parkanlage zurück]


Hatch als Erzähler:

Mit diesen Worten ließ mich der Professor einfach im Park zurück und eilte davon. Die Schrecksekunde von eben schien nicht so spurlos an ihm vorbeigegangen zu sein. Na ja, ich will nicht ungerecht sein. Van Dusen hatte sich in den letzten beiden Tagen kaum eine Ruhepause gegönnt. Kein Wunder, daß er dem Trubel Prags mittlerweile überdrüssig war und dieser lebhaften Stadt nichts mehr abgewinnen konnte. So ging ich denn gemäßigten Schrittes zum Schalter des Bahnhofs und reservierte die Fahrt nach Groningen, die früh am Morgen kurz nach 8 Uhr losgehen sollte.


-Der folgende Morgen-


Hatch: [im Zugabteil um 8 Uhr des folgenden Tages]

Na, dann leb´ wohl, du hinreißendes und abenteuerliches Prag. Ich werd´ dich vermissen, und nicht nur dich. [öffnet das Abteilfenster und schaut auf den Bahnsteig]


Van Dusen:

Halten sie nach etwas bestimmten Ausschau, Hatch, oder warum beobachten sie mit so intensiver Aufmerksamkeit jene Tür von der Bahnhofshalle?


Hatch:

Eigentlich hatte ich Egon erwartet. Ich hab´ ihm zumindestens gestern noch mitgeteilt, daß wir heute früh abfahren würden. Er wollte unbedingt kommen und sich verabschieden, das hat mir versichert.- Aah, da kommt er ja doch noch angerannt. - Gerade noch rechtzeitig, Egon! Schön, daß du nochmal vorbeischaust.


Egon: [etwas aus der Puste]

Versprochen ist versprochen, und wird nicht gebrochen.


Hatch:

Warum bist du denn so abgehetzt? Verpennt, nicht wahr? Gib es zu, Egon.


Egon:

Nein! Wirklich nicht. Ich war gerade eben noch bei einem Zeitungsverlag und habe vorgesprochen. Sie werden es nicht glauben, Mr. Hatch, man will mir ein Volontariat in Aussicht stellen. Zwar nicht gleich und sofort, aber das Interesse an meiner Person ist geweckt. Ist das nicht wunderbar? -[ein Pfiff ertönt und der Zug rollt langsam an]


Hatch:

Gratuliere! Dann sind wir sozusagen Kollegen. [Egon rennt dem abfahrenden Zug hinterher]


Van Dusen: [schaut jetzt auch aus dem Fenster]

Gehab dich wohl, guter Egon. Du warst mir eine sehr große Hilfe gewesen. Den Brief, den ich dir gegeben habe, kannst du jetzt öffnen. - Also, lebe wohl, Egon.


Egon:

Auf Wiedersehen, Professor! - Auf Wiedersehen, Mr. Hatch!


Hatch:

Wiedersehen! Ich wünsche dir noch viel Erfolg, du rasender Reporter. Mach´s gut! - [der hinterhersprintende Egon bleibt zurück und winkt Hatch zu] – So, das wär´s dann wohl. [schließt das Abteilfenster] – Professor? Sie haben Egon einen Brief hinterlassen? Sagen sie bloß, daß er der sogenannte „außenstehende Vierte“ gewesen ist.


Van Dusen:

In der Tat, mein lieber Hatch. Egon war mein Trumpf bzw. unsere Versicherung gewesen.


Hatch:

Und was steht in dem Brief?


Van Dusen:

Lediglich eine kurze Danksagung meiner Person, daß Egon, durch seinen überaus eifrigen Einsatzwillen, uns und der Welt einen großen Verdienst erwiesen hat. Ich habe ihm einen eng umfaßten Abriss vom Überfall mitgeteilt, ohne dabei auf weitere Details und Namen einzugehen. Egon weiß zwar, was geschehen ist, hat aber nicht die geringste Kenntnis darüber, wer alles beteiligt war. Es ist das beste für ihn, wenn wir ihn aus der Sache heraushalten.


Hatch:

Sie haben in dieser brenzligen Situation einfach geblufft, als sie von dem vierten Mitwisser sprachen? Ich kann es nicht glauben. Was, wenn ...


Van Dusen:

... wenn, wenn, wenn. - Habe ich sie jemals in einer derartigen Situation enttäuscht, in der es um mehr ging, als nur der amateur-kriminologischen Pflichtübung gerecht zu werden?


Hatch:

Bisher noch nicht.


Van Dusen: [sehr selbstsicher]

Und das wird auch so bleiben, Hatch.


Hatch:

Wie soll überhaupt unser neuer Fall heißen? Auch wenn ich ihn nicht sofort veröffentlichen kann, ein paar Notizen muß ich mir zurechtlegen, sonst vergesse ich noch die Einzelheiten. Tja, wie wär´s mit: „Professor van Dusen und der scharfe Chili-Überfall“.


Van Dusen:

Ah, welch ein schlichter und einfallsloser Titel, Hatch. Was halten sie von: „Die Affäre um den russischen Spion und der Sprühattacke mittels capsaicinoider Substanzen“.


Hatch:

Viel zu umständlich und zu lang! Das kann doch kein Mensch aussprechen. Das hat keinen Pep. Lassen sie sich das von einem Profi gesagt sein.


Van Dusen:

Nun denn, gehen wir einen Kompromiß ein.



Hatch:

Also gut. - „Professor van Dusen und die Affäre ...


Van Dusen:

... Capsicum“.


Hatch:

Klingt gut, ist aber auch kurz und prägnant. Ist gebongt, Professor.


Van Dusen:

Sehr schön. Dann kann ich mich endlich wieder meiner atomaren Strukturtheorie der Elemente widmen. Mein lieber Hatch, wenn sie mich entschuldigen, die Pflicht ruft.


Hatch als Erzähler:

Typisch van Dusen. Kaum saßen wir im Zug, da mußte die Denkmaschine auch schon wieder über das Wesen der Materie und die dahintersteckenden Formeln grübeln. Und ich mußte zusehen, wie ich die restliche Zeit sinnvoll verbringen sollte. - Nun, damit ist auch dieses Kapitel, einer bisher noch nicht veröffentlichten Van-Dusen-Story, endlich abgeschlossen und erzählt. Zum Glück hatte ich mir schon im Zug das Wichtigste dazu notiert. Ansonsten hätte ich große Probleme bekommen, nach den 9 Jahren wieder alles aus meinem Hirn zusammenzukratzen. - Sollte es Sie vielleicht interessieren, ob sich die intuitive Weissagung Zenas wirklich irgendwann mal ergeben hat, so kann ich Ihnen nur bestätigend zunicken. Das ist aber eine ganz andere Geschichte.




gez. Hutchinson Hatch Prag, den 18.Mai 1913




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Zu den Fußnoten im Text:


  1. [S.3]

    Zitat aus Dantes „Göttliche Comödie“; übersetzt von Otto Gildemeister – Verlag von Wilhelm Hertz,

    Berlin 1888: Der „Sechste Gesang“ entspricht dem dritten Höllenkreis, in dem alljene büßen müssen, welche sich der Schlemmerei und Völlerei ergeben haben. Hier wacht Cerberus über jene Sünder, die durch Hagel, Schnee und Regenguß gepeinigt werden. -

    In einer neueren Übersetzung von Hermann Gmelin heißt es: „Rot ist sein Aug´, die Mähne schwarz und fettig, / Und groß der Bauch, die Tatzen voll von Klauen; / Er kratzt und schindet und zerreißt die Geister. / Der Regen läßt sie heulen wie die Hunde“. (siehe Reclam-Auswahl 9813, ISBN 3-15-009813-0)

    Dem Leser sei die Entscheidung überlassen, welche Version die „Schönere“ ist.

  2. [S.8]

    Siehe das bekannte Gedicht von Goethe: Der Erlkönig

    ... Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. ...

  3. [S.29]

    Hier handelt es sich um das KaDeWe (Kaufhaus des Westens), das in den Folgejahren in Berlin (1907 durch den Kommerzienrat Adolf Jandorf in der Tauentzienstraße eröffnet) entstanden ist und als Einkaufsboulevard der exquisiteren Waren alles bisherige in den Schatten stellte.

  4. [S.40]

    Antonin Dvorak: Tschechischer Komponist, geboren am 08.09.1841 in Nelahozeves (Mühlhausen) an der Moldau; gestorben am 01.05.1904 in Prag. Die Zuneigung der musikalischen Welt gewann er mit seinen unwiderstehlichen Tänzen und Liedern und mit seiner urwüchsigen Kammermusik. Als die Romantik den Blick auf die Volkskunst lenkte und als sich zur gleichen Zeit die Tschechen aus der deutschen Kulturwelt zu lösen begannen, fand das tschechische Volk in der heimischen Musik den schönsten Ausdruck seiner Eigenart. [siehe: Grosse Männer der Weltgeschichte – Neuer Kaiser Verlag 1987]

  5. [S.40]

    Hugo (Karl Wilhelm Julius) Riemann: Deutscher Musiktheoretiker, -historiker, -lexikograph und -pädagoge. Geboren 18.07.1849 in Groß-Mehlra bei Sondershausen; gestorben am 10.07.1919 in Leipzig. Seit 1895 an der Universität Leipzig, dann 1908 Dirketor des von ihm gegründeten „Collegium musicum“ am musikwissenschaftlichen Institut. 1914 Direktor des von ihm gegründeten Staatlich sächsischen Forschungsinstituts für Musikwissenschaft. Auf die von ihm entwickelte Theorie der „Funktionen“ geht bis heute die Harmonielehre zurück, die an deutschen musikalischen Ausbildungsstätten betrieben wird. [siehe Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon]

  6. [S.45]

    „Eine Unze Radium“: Der Erste im RIAS Berlin gesendete Fall des Professor van Dusen aus der Hörpiel-Reihe von Michael Koser (Sendedatum 13.09.1978). Als Vorlage gilt die Story „The Lost Radium“ von Jacques Futrelle.

  7. [S.50]

    Im Buch Lukas, Kapitel 23, Vers 6 – 11 wird Christus von Pontius Pilatus zu Herodes, und von diesem wieder zu Pilatus geschickt. Daher erklärt sich die Redensart: „Von Pontius zu Pilatus schicken“, die allmählich die ältere „von Herodes zu Pilatus schicken“ verdrängt hat.

  8. [S.52]

    Heureka! bzw. griechisch: Eurhka! = Ich hab´s gefunden!

    Der Ausruf von Archimedes, als er bei der Untersuchung des Goldgehaltes einer für König Hiero II. von Syrakus (reg. 269-215) angefertigten Krone das Gesetz des spezifischen Gewichts entdeckte. [siehe: Geflügelte Worte , Büchmann – 23.Auflage Berlin 1907]

  9. [S.57]

    Bei der Seance nimmt der Professor erneut Bezug auf den erst kürzlich gelösten Fall „Stimmen aus dem Jenseits“ : Hörspiel von Michael Koser [Ursendung am 30.01.1980]

  10. [S.73]

    Die genaue Bezeichnung des Wirkstoffes Capsaicin ist (E)-N-Vanillyl-8-methyl-6-noneamid. Als reines Pulver hat es ein weißes Aussehen, ist löslich in Öl, Fett und Alkohol, und relativ Hitzestabil, sodaß der „scharfe“ Wirkstoff beim Vorgang des Kochens und Bratens von Speisen nicht zersetzt wird. Die Einstufung der Schärfe erfolgt durch die Angabe eines Wertes in der sogenannten Scoville-Einheit, der von 0 bis 16 Millionen reicht. Dieser Wert läßt sich auch in Schärfegrade umrechnen mit: Schärfegrad = 3x log 10 (Scoville-Wert) - 5. D.h., die Palette an verkäuflichen (bzw. gesundheitlich vertretbaren) Chili-Produkten liegt zwischen den Schärfegraden 0 und 10.

  11. [S.80]

    Aus Shakespeares „Viel Lärmen um Nichts“, 2. Aufzug / 1.Szene: Mit dieser Aussage unterstreicht Claudio seine plötzliche Sprachlosigkeit über jene Kunde, daß er seine schöne Hero nun heiraten dürfe, nachdem er die Einwilligung ihres Vaters Leonato empfangen hat.

  12. [S.85]

    Bei der Schlacht um Tsushima am 28/29.Mai 1905 wurde, wieder unter der Führung von Admiral Togo, der russischen Flotte eine vernichtende Niederlage zugeführt und diese völlig zerstört.